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Low-light-Baby

Panasonic Varicam35 im Praxistest

DoP Matthias Bolliger hat Panasonics neues Flaggschiff, die Varicam35, einem harten Praxistest unterzogen: sie musste sich beim Nord-Tatort-Dreh im Mai 2015 dem rauhen Produktionsalltag stellen. Hier sein exklusiver Bericht von der ersten Langfilmproduktion mit dem neuen Kameramodell in Zentraleuropa.

Panasonic Varicam im test
DoP Matthias Bolliger und Kameraassistent Mario Loibl am Set von Himmelfahrt.

Was passiert, wenn man neue kreative Spielräume bekommt und plötzlich neben 800 ISO Grundempfindlichkeit dieselbe Kamera auf Knopfdruck auch nativ mit 5.000 ISO einsetzen kann? Man verwirrt ganz sicher die Crew ein wenig und wartet auf die ersten Reaktionen auf die neuen Arbeitsumstände.

»Sag mal, ich seh’ fast nichts und du drehst mit Zooms?« fragte der Tonassistent nach dem ersten Nachtdreh mit der Varicam 35. Die Standfotografin guckte nach ihrem ersten Arbeitstag am Low-light-Set »Safe House« fragend hoch: »Mit was für einer Fotokamera soll ich denn das nächste Mal kommen?«

Meine Verbindung zum Tatort beginnt im Jahre 2012, als ich den ersten Nord-Tatort Feuerteufel mit dem neuen Kommissar Wotan Wilke Möhrig als Thorsten Falke drehte, damals ganz klassisch auf einer Arri Alexa. An sich war ich mit der Alexa damals glücklich, doch eine Sache störte mich ungemein: Die Kamera voll aufgeriggt mit Funkschärfe, Funkvideo und einem Lightweight-Zoom brachte um die 25 kg auf die Waage! Daher war für mich klar, dass ich im Vorfeld des folgenden Spielfilmprojekts Boy7 einen persönlicher Shootout auf der Suche nach leichteren Kameras starten würde.


 

Varicam

Panasonic Varicam35 – die Basics
 Super-35-Sensorgröße
 4K/2K/HD-Auflösung mit Framerates bis zu 120fps
 Codec Flexibilität: AVC-Ultra-Familie von AVC-Intra 100 422
(10bit) bis AVC-Intra 444 (12bit)
 Multistream-Recording
* MainRecording, Digital Negativ
* Sub-Recording /2nd-Stream + Proxys
* 3 Monitoring-Outputs mit LUT-Preview
* Raw-Recording Option mit andockbarem Codex-Rekorder
 Duale native Lichtempfindlichkeit von 800 ISO und 5.000 ISO


 

 

Ich teste damals viel und drehte im Sommer 2014 das Kinoprojekt dann auf der Sony PMWF5. Nebenbei war aber auch die Lust geboren, immer mal wieder Neues zu probieren. Für den dieses Jahr anstehenden Tatort Himmelfahrt stand von Anfang an fest, dass wir den Thriller-Anteil der Geschichte hervorheben wollten. Ausgangspunkt ist ein Leichenfund eines jordanischen Geschäftsmannes. Die Spur führt Kommissar Falke direkt zum Flughafen Hannover-Langenhagen. Schnell stellt er fest, dass der Mord auf dem Flughafen vertuscht werden sollte. Verdächtigt wird ein mysteriöser Syrien-Heimkehrer.

Die Frage, ob ein Terrorakt geplant war, steht im Raum. Außerdem muss sich Falke mit einer neuen Ermittlungspartnerin an seiner Seite anfreunden. Neu im Team: die Österreicherin Franziska Weisz als Bundespolizei-Oberkommissarin Julia Grosz. Dieser aktuelle Nord-Tatort wurde vom NDR bei der Produktionsfirma Wüste Medien in Auftrag gegeben, Regie führte Özgür Yildirim.

Panasonic Varicam im Einsatz
Himmelfahrt ist der zweite Nord-Tatort, den das Regie/Kamera-Duo Yildirm/Bolliger realisiert. (Bild: Wüste Medien nh)

Folgende visuellen Parameter haben wir während der Drehvorbereitung festgelegt:

  • viel Handkamera, daher die Suche nach einer möglichst leichten und kompakten Einheit,
  • rauher und realer Grundlook,
  • unaufgeregte und differenzierte, Hauttonwiedergabe in Kombination mit zu wählenden Optiken,
  • Simplizität und Klarheit in der Lichtführung,
  • gestaltete Realität mit modellierten (available-light) Nachtaufnahmen.

Anfang 2015 kam die Varicam35 in Europa auf den Markt, und ich war mir sicher, für den anstehenden Tatort und unseren visuellen Ansatz wäre besonders die 5.000-ASA-Funktionalität der Kamera ein spannendes Grund-Setup – speziell für die diversen Low-light Szenen des Buches.

Mitte März 2015 stand das Super-35-Flagschiff von Panasonic dann das erste Mal vor mir. Voll-Aluminium-Guss, in der Gewichtsklasse der Arri Amira und mit neuen FI Funktionen, die mich reizten, Panasonics späten Auftritt auf der Bühne der Super-35-ProfiCamcorder kennenzulernen.

 5.000 ASA Lichtempfindlickeit

Die »dual-native ISO« ist für mich persönlich das Key-Feature der neuen Kamera. Doch was steckt dahinter, wenn man auf Knopfdruck zwischen zwei nativen Grundempfindlichkeiten umschalten kann und die gleiche Bildqualität behält?

Panasonic Varicam im Einsatz

Erzielt wird diese Funktionalität durch eine andere Kennlinie des Chips mit einem separaten Schaltkreis. Sprich das 800-ASA-Signal wird für ISO-Stufen von 800 bis 4.000 ASA von der Grundempfindlichkeit des Chips ausgehend bis 4.000 ASA via Gain verstärkt und weist dann auch in den oberen ISO-Bereichen ein erhöhtes Grundrauschen auf.

Sobald dann aber 5.000 ASA erreicht sind, ist der Bildeindruck wieder ähnlich wie bei 800 ASA und der zweite Schaltkreis wird aktiv. Ab 5.000 ASA kann dann, falls benötigt, wieder eine Gain-Verstärkung bis 12.800 ASA draufgesetzt werden. Ich selber nutze aber grundsätzlich nur die beiden Grundempfindlichkeiten von 800 und 5.000 ASA und stellte mir die Kamera so ein, dass ich nur direkt zwischen den beiden nativen Werten springen konnte.

Nach meiner Erfahrung ist es durchaus sinnvoll, zum Beispiel eine gewünschte 2.500- ASA-Lichtempfindlichkeit nicht über eine 800- ASA-Verstärkung, sondern über das 5.000- ASA-Setup und gegebenenfalls einen ND0.3- Filter zu erzielen.

Die gesteigerte Lichtempfindlichkeit nutze ich dann für mehr kreativen Freiraum. So ist es durchaus möglich, nachts mit Zooms zu drehen, man kann mit kürzeren Shutterzeiten und Pol-Filtern bei A/N experimentieren, und auch ein freies Spiel mit mehr Schärfentiefe und Frameraten bei wenig Licht und natürlich der Einsatz von definierten Practicals als Hauptlichtquellen erweitern den kreativen Spielraum. Wir konnten auf diese Weise auch eine UV-Licht-Szene mit handelsüblichen UV-Lichtröhren drehen und trotzdem noch eine akzeptable Belichtung erzielen.

Besonders beim Arbeiten mit Practicals als Hauptlichtquellen habe ich allerdings die Erfahrung gemacht, dass ein noch intensiverer Kontakt zwischen der Licht- und Szenenbildabteilung, als man das von 800-ASA-Projekten her gewohnt ist, ganz wichtig ist. Auch die Arbeit mit Negative Fills, also die Kontrastdefinition der Schatten mit Fahnen, Floppys und »Rollmöpsen« bekam eine neue Qualität.

Der Oberbeleuchter hatte dann nach einigen Drehtagen auch den Ruf weg, dass er nachts oft fast mehr aus als einschaltete. Dennoch war mein Lichtpaket im LKW für Tagesszenen und weiterläufige Nachtsets dasselbe wie bisher. Allerdings war der Spielraum im Low-densitiy-Bereich durch die Kamera maßgeblich erweitert.

Multistream-Recording und Datenvolumen

Die Varicam ist in der Lage, mehrere Streams gleichzeitig aufzuzeichnen und live darzustellen. Standard sind zwei Recordings und ein Proxy-Stream. Dabei wird auf den Hauptslots das Main-Recording auf P2-Express-Karten aufgezeichnet. Im sogenannten SUB-Recording auf Micro-P2-Cards findet der Referenzstrom als 2nd-Stream mit zusätzlichem Proxy-Video statt. Wer dann wirklich noch mehr braucht, kann mit einem direkt an die Kamera andockbaren Codex-Rekorder auch die Raw-Daten aufzeichnen.

Eine Option, die bei diesem Projekt aufgrund der reinen TV-Auswertung von vorneherein ausschied, da der logarithmische Videostream in V-Log ausreichend war. Bis zu drei unterschiedlich konfigurierbare Monitor-Outputs mit individuell belegbaren LUTs und Looks auf den Videoausgängen runden die Kamera-Performance ab. Sobald das Thema 4K-Recording aufkommt, geht es auch immer um Datenraten und Speichermedien sowie Speicherplatz.

Vorab steht die Frage, welchen Codec man für das Recording nutzt. Qualität und Datenvolumen stehen sich da meist entgegen. Bei der Varicam35 wird im 4K-Modus nicht Apples verbreiteter ProRes-Codec, sondern AVC-Intra 444, 12bit genutzt. Dies reduziert das Datenvolumen von immerhin fast 600 GB/h mit ProRes 444 auf rund 300 GB/h mit AVC-Intra 444. Für die konkrete Drehplanung gab es zudem eine produktionstechnische Vorgabe, nämlich dass das Daten-Endvolumen unserer Produktion einen Arri-Alexa-HD/2K-Tatort mit einem Drehverhältnis von 1:15 nicht überschreiten sollte – üblich ist da eine Größenordnung von drei bis vier Terabyte pro Produktion.

Szene
Der Einsatz von Practicals als Hauptlichtquellen erweitert den kreativen Spielraum. (Bild: NDR)

Eine durchgängige Aquise in 4K hätte aber ein Datenvolumen von bis zu 12Terabyte generiert; daher war von Anfang an klar, dass wir einen Format-Mix machen würden: Ausgewählte Bilder mit zu erwartendem anspruchsvollen Grading, weite Totalen, VFX und Compositingshots sowie Greenscreens wurden in 4K, klassische Spielszenen und Drehs mit zwei Kameras in HD aufgezeichnet

Günstigerweise können zudem StandardP2-Karten der Vorgängerserie (F-Series) auch in der Varicam genutzt werden, solange 50fps in HD nicht überschritten werden. Dies erleichterte unsere Logistik, da wir bis auf den Drehabschnitt am Flughafen Hannover ohne Data Wrangler arbeiten mussten.

Die Karten wurden deshalb die meiste Zeit per Shuttle ins Posthaus gebracht und kamen so erst nach zwei bis drei Tagen zurück, das heißt, wir brauchten einen größeren Vorrat an Drehkarten. Und da waren die 64GB-P2-Standardkarten natürlich die kostengünstigere Lösung, nur für höhere Zeitlupen und 4K-Recordings setzten wir die teureren P2-express Cards ein.

Erste Tests mit der Varicam

In einem ersten Test ging es darum, der neuen Kamera beim Verleiher AVT-Plus in Hamburg etwas auf den Zahn zu fühlen: mit einem Stillleben-Setup und weiteren Real-Motiven mit Hochkontrast- und Hauttonmotiven sowie einem Ausflug an die Landungsbrücken in Hamburg bei Nacht. Bearbeitet wurde das ganze anschließend bei Optical Art in Hamburg mit einen Baselight-Gradingsystem.

Der allgemeine Eindruck war dann auch vielversprechend. Ein natürlicher, unaufgeregt-filmischer Bildeindruck, kein buntes Clipping in den Lichtern und ein überzeugender Schwarzweiß-Kontrast in den Schatten. Grauflächen wiesen ein buntes Signalecho auf, jedoch nicht als buntes Rauschen, sondern als farbneutrale Textur.

Hauttöne gab die Kamera eher etwas blässlich wieder und man fühlte sich etwas an die Alexa erinnert. Der 5.000-ASA-Mode erschien dezent gesättigter als die 800-ASA-Variante, dies allerdings eher messtechnisch denn wirklich visuell auffällig. Nach dem ersten Test gab es dann grünes Licht von der Postproduktion und der weiteren kreativen Look-Entwicklung stand nichts mehr im Weg.

Optiken

Optiken sind wie Wein, sie haben Charakter oder eben nicht. Und in der Tat ist neben dem Sensor und der Aufzeichungsverarbeitung/Codec der verwendete Linsensatz immer mehr das zentrale Charaktermerkmal der Abbildungsgüte. Je besser und ähnlicher sich die Highend-Digitalkameras werden, desto mehr will man als DP die visuelle Bildcharakteristik, Kontrastwiedergabe und das Bokeh mitsteuern. Linsen mit Charakter sind also gefragter denn je, und so erstaunt es nicht, wenn 50 Jahre alte Gläser neu gefasst eine Renaissance erleben.

Im Vorfeld dieser Tatort-Produktion testete ich Zeiss HS-Optiken gegen ältere Cooke S2/S3-Sätze in einem P+S-Rehousing. Schnell zeigten sich typische Merkmale der beiden Festbrennweiten-Sätze. Während die Zeiss Linsen schärfer, etwas kälter und mit einer fast schon überhöhten Kantenschärfe sowie einem guten Flair verhalten auftrumpften, erschienen die Cookes weicher, wärmer und auch etwas schmutzig-flairig. Für unseren Gestaltungsansatz war das genau das Richtige. Als Lightweight-Zooms ergänzten die beiden Angénieux Optimo DP Varios das Linsenensemble, jeweils verfeinert mit einem 1/4- Black-Promist, matchten sich gut mit den Cooke-Festbrennweiten.

 

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