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Wir stellen die Preisträger des 32. Deutschen Kamerapreises vor (2)

Hohes Tempo

Unsere Reihe mit den Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Kamerapreises geht weiter mit Nikolai von Graevenitz, der den Preis in der Kategorie Fernsehfilm/Serie für seine Kamera beim „Polizeiruf 110 – An der Saale hellem Strande“ bekam.

Filmstill aus "An der Saale hellem Strande"
Filmstill aus “An der Saale hellem Strande” (Foto: Nikolai von Graevenitz)

Nikolai von Graevenitz wurde 1972 in Berlin geboren, wo er als freier Kameramann arbeitet und lebt. Seine Karriere begann an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München. Bereits der erste dort entstandene Langfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003) von Maren Ade erhielt unter anderem den Special Jury Award beim Sundance Film Festival sowie eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Bester Film. Es folgten weitere preisgekrönte Arbeiten mit Regisseurinnen und Regisseuren wie Sonja Heiss, Miranda July, Jan Bonny und Thomas Stuber. Zuletzt übernahm er die Bildgestaltung bei den ersten drei Folgen der Netflix-Serie „King of Stonks“ und beim Kinodokumentarfilm „Dreamers“.

Auch dir einen herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis! Wie war es denn so, den zu bekommen?
Ich war gerade in Chicago auf einem Dreh von einem Kino-Dokumentarfilm für eine Schweizer Produktionsfirma und habe dort den Anruf bekommen. Ich war sehr überrascht und natürlich auch erfreut und dachte mir „Ach, wie witzig, eigentlich passiert so etwas immer, wenn man überhaupt nicht daran denkt!“

 Nikolai von Graevenitz
Nikolai von Graevenitz (Foto: privat)

Kannst du dich erinnern, was deine ersten Ideen für diese Umsetzung waren, als du das Drehbuch gelesen hast?
Es war bereits mein dritter Film in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Thomas Stuber, der auch immer am Buch beteiligt ist, zusammen mit Clemens Meyer. Deswegen habe ich schon immer ein ganz gutes Gefühl für deren Absichten und die Welten, wenn ich ihre Drehbücher lese. Unsere Herangehensweise gestaltet sich dann meist so, dass wir uns der ästhetischen Umsetzung sehr stark über die Auswahl der Drehorte und die damit verbundenen Charakteristiken nähern. Oft wissen wir dabei sehr schnell, warum wir Orte gemeinsam gut finden und damit arbeiten wollen.

Wie war das konkret bei „Polizeiruf 110 – An der Saale hellem Strande“?
Polizeirufe und Tatorte haben alle ein ähnliches Budget, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger. Thomas hatte da die Idee, mit zwei Kameras zu drehen, was hilfreich war. Konrad Loebst hat die zweite Kamera gemacht und war teilweise auch als Second Unit Kamera unterwegs, Schnipsel drehen. Ansonsten stand er mir mit der zweiten Kamera zur Seite und wir haben über Kreuz gedreht.

Was das ästhetische Konzept betrifft, haben wir geguckt, was die wichtigsten Orte sind. Eine Polizeiwache zum Beispiel war natürlich elementar, da gab es in Halle die originale Polizeiwache, die aber verschlossen war. Thomas wollte unbedingt in dieser Polizeiwache drehen und der einzige Raum, der ging, lag im zweiten Stock. Da eine Lichtunabhängigkeit zu schaffen, war natürlich sehr aufwendig. Wir mussten zum Beispiel Night for Day drehen.

So haben wir uns von Ort zu Ort gehangelt, wodurch sich dann der Film in seiner Ästhetik ergeben hat. Ein wichtiges Hauptmotiv im Film ist eine Straße, wo bei Nacht vor einer Haustür ein Mord stattfindet. Da passiert eine Menge, Rückblicke, fragmentarisch. Ich bin dann von der Hauptbeleuchtung dieser Straße ausgegangen, die wir nicht verändern konnten und habe sie verstärkt, bin aber in der Farbgebung geblieben. So hat sich das alles zusammengesetzt. Dieses Licht scheint dann auch in anderen Motiven abends durch die Fenster herein, zum Beispiel in der Kneipe, aber es spielt auch in Wohnungen. Dann spielt dann immer wieder diese Natriumdampflampe herein. Das war eigentlich der Ausgangspunkt für den farblichen Stil, immer angelehnt an das, was wir hatten und entsprechend verlängert haben.

Mit welcher Kamera und mit welchen Objektiven hast du gedreht?
Das waren zwei ARRI ALEXA Mini, die eine A, die andere B. Die B-Kamera war teilweise auf einem Gimbal für Mitbewegungen auf der Straße und als Objektive hatten wir alte ZEISS High Speeds, soweit ich mich erinnern kann, waren die, glaube ich, sogar uncoated, unvergütet.

Motiv "Polizeiwache"
Viel Aufwand für Lichtunabhängigkeit: Das Motiv „Polizeiwache“ lag im zweiten Stock des Original-Gebäudes. (Foto: Nikolai von Graevenitz)

Was war bei diesem Projekt die größte Herausforderung für dich als DoP?
Der Regisseur Thomas Stuber wollte definitiv mit zwei Kameras arbeiten, um schneller zu sein, mehr Möglichkeiten für den Schnitt zu haben, um nicht immer mit dem Umbau auf die andere Seite Zeit zu verlieren. Also haben wir eigentlich immer über Kreuz gedreht, was äußerst schwierig zu leuchten ist, so dass man da auch eine Qualität erreicht, wo man sagt, ja das finde ich gut und ich halte hier ein Niveau. Das war für mich schwierig, aber eigentlich waren wir relativ schnell. Das hat der Oberbeleuchter Matthias Beyer auch super gemacht, er musste immer sehr vorausschauend sein bei all diesen schwierigen Szenen über Kreuz, die auch immer viele Leute beinhalteten.

Was ich auch schwierig fand, waren die Nachtszenen auf dieser einen Straße. Da hat wirklich viel stattgefunden, immer wieder diese Rückblicke, und da war es auch nicht einfach, eine ganze Straße so zu beleuchten, dass es mir gefällt. Das Budget war eigentlich kein Problem, denn ich weiß ganz genau, in welchem Verhältnis ich mich aufhalte, wenn ich mich für ein solches Projekt entscheide. Und ich finde, das ist auch in Ordnung. Man kann natürlich keine großen Sprünge machen, man muss kreativ werden. Das Budget bedeutet ja nicht nur, dass es genug Geld ist, um diesen Film zu machen. Es ist oftmals einfach zu wenig Zeit. Man muss ein sehr hohes Tempo gehen und da war es sicher sehr hilfreich, dass wir zwei Kameras hatten und das macht bestimmt auch die Qualität von diesem „Polizeiruf“ aus.

Ich bin eigentlich ein Fan davon, mit nur einer Kamera zu drehen und suche lieber die richtige Einstellung. Ich würde sagen, es gibt oft nur die eine richtige beziehungsweise gefühlt richtige Einstellung für mich, anstatt diese multiplen Kameras, die am Ende immer irgendwie zwischen den Einstellungsgrößen liegen, weil du ein bisschen rausrücken musst, einen gewissen Kompromiss eingehen musst. „Du bist noch ein bisschen drin mit deiner Kamera, rutsch mal wieder raus!“, und dann stimmt das Licht wieder nicht – und so liegt man mit zwei Kameras oft leicht daneben. Alles andere ist dann wiederum gut!

Ich habe neulich per Zufall alte Folgen von „Der Kommissar“ angeschaut. Die haben eine ganz erstaunliche Ästhetik, ungeschnittene Szenen, wo die Schauspieler einfach spielen und die Kamera schwer arbeiten muss, um rechtzeitig da zu sein. Seitdem hat sich der Look des Prime-Time-Krimis sehr weiterentwickelt und verfestigt. Gleichzeitig scheinen DoPs diese Plattform auch als Experimentierfeld zu nutzen, wie Tim Kuhn zum Beispiel beim Rostocker „Polizeiruf“.
Viele Sonntagabend-Krimis, ob „Tatort“ oder „Polizeiruf 110“, sind noch sehr traditionell. Aber es gibt auch diese Ausreißer, wie beim Rostocker „Polizeiruf“. Bei Axel Milberg wird viel versucht, dann gibt es natürlich auch den hessischen Tatort mit Ulrich Tukur. Da habe ich auch schon mit Thomas einen gedreht, ein Remix von John Carpenters „Assault“, der hieß „Angriff auf Wache 08“. Es gibt da schon einige experimentierfreudige Redaktionen, aber es ist mir eigentlich noch zu wenig. Der deutsche Zuschauer mag es so, wie es immer war, diesen klassischen Erzählmodus des „Tatort“, so wie er war und so soll er auch bleiben. Ich sehe das natürlich anders und hoffe, dass sich das Format weiterentwickelt, erzählerisch wie auch visuell. [15259]

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