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Sounddesignerin Noemi Hampel

Der Ton des Spiegels

Für die Produktion des Kinofilms “Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm” war Noemi Hampel für das Sounddesign verantwortlich. Im zweiten Teil des Interviews in unserer Ausgabe 6/2018 verriet die Souddesignerin unter anderem, wie sich ein Spiegel anhört.

Sammelt “tonale Requisiten”:Noemi Hampel (Bild: Noemi Hampel)

Woher nimmst du die Geräusche und Sounds mit denen du arbeitest?

Ich habe ein großes Archiv. Seitdem ich dabei bin, sammle ich Töne. Ich habe viele Töne selbst aufgenommen, es gibt Libraries, die man kaufen kann – ich kauf auch immer wieder Sachen dazu. Sachen, die mir fehlen nehme ich einfach auf. Was extrem wichtig ist, das sind die Nur-Töne oder Wild-Tracks, die die Tonleute für den Film aufnehmen. Und dann gibt’s natürlich noch den Geräuschemacher, der nimmt den ganzen Film für die IT einmal von vorne bis hinten auf, die Schritte, die Bewegungen, und alles was ich darüber hinaus brauche, schreib ich ihm auf und er macht das dann für mich. Peter Roigk hat die Geräusche für den Dreigroschenfilm gemacht. In diesem Film sind es vor allem viele, viele Schritte und viele exakte Bewegungen. Es gibt diese Tanzszenen, die von den Foleys her super akkurat im Rhythmus sein müssen.

Hast du Lieblingsgeräusche?

Autos sind nicht gerade mein Steckenpferd. Das ist eine totale Bastelarbeit. Das richtige Anlassen, das richtige Losfahren, die richtige Geschwindigkeit – das ist schon eine Herausforderung. der richtige Gang, also Autos sind immer eine Bastelarbeit! Vor zwei Jahren hatte ich für einen Film über James Dean das Sounddesign gemacht. Da kamen viele verschiedene 1950er-Jahre-Autos vor, die alle original klingen sollten. Aber die hatten die Autos allesamt nicht am Set aufgenommen! Also musste ich sie irgendwie rekonstruieren. Erst mal schauen, was ist das für ein Auto, was hat das für einen Motor, Vierzylinder oder Sechszylinder, also da war ich wirklich zwei Wochen damit beschäftigt, mir diese Autos zusammenzusuchen. Ich habe mir angehört, wie die Autos klingen und dann im Archiv gesucht, was ähnlich klingt. Habe das bearbeitet, ein bisschen tiefer gepitcht, oder was auch immer… Ich habe auch viele Aufnahmen von Autos, denn ich kenne einen Oldtimer-Sammler, da kann ich immer wieder Aufnahmen machen. Abends fahre ich in den Wald und mache mit meinem eigenen oder einem geliehenen Auto noch Aufnahmen, die ich brauche. Mein altes Auto habe ich ziemlich oft aufgenommen! Einmal habe ich mir auch einen Porsche ausgeliehen. So ein Auto hat ja unheimlich viele Perspektiven, und je nachdem, was ich brauche, positioniere ich dann meine Mikros.

Dann stell ich die Frage nach den Lieblingsgeräuschen nochmal.

Es gibt Töne, die verwende ich immer wieder. Ich habe da so einen Hinterhofstreit, man versteht nicht jedes Wort, aber man hört eine Berlinerin mit ihrem Mann streiten: Das habe ich in der Filmhochschule noch mit der Nagra aufgenommen! Das benutze ich bei jedem Film, egal wo er spielt, immer wieder, einfach nur so als Atmosphäre in der Atmosphäre. Man nimmt es nicht wahr. Man muss es schon suchen.

Eine Art Noemi-Hampel-Wasserzeichen? Sehr cool!
Du warst auch verantwortlich für das Sounddesign für „Look Away“, einer israelisch-amerikanischen Koproduktion von Assaf Bernstein, die auch 2018 in die Kinos kommt.

Das war ein wirklich interessanter Film für den Ton. Eine Schülerin, nicht akzeptiert von den Eltern, gemobbt von den Schülern, psychisch angeknackst. Man erfährt von Anfang an, dass sie eine Zwillingschwester hat, die bei der Geburt gestorben ist. Eines Tages fängt ihr Spiegelbild an zu leben, es entwickelt sich ein alter Ego. India Eisley spielt beide Rollen, wirklich grandios. Nur durch ein kleines Augenzucken erkennt man den Unterschied – und das Spiegelbild ist zunehmend ihre böse Seite. Schließlich übernimmt das Spiegelbild-Mädchen ihr Leben, sie switchen die Charaktere. Wirklich toll gefilmt, unglaublich schöne atmosphärische Situationen, ein Kunstfilm, in den man mit dem Sounddesign eine spezielle Note reinbringen konnte. In jeder Szene gibt es etwas, das ein bisschen surreal ist und aus der Art schlägt.

Noemi Hanpel und Assaf Bernstein (Bild: Noemi Hampel)

An was erinnerst du dich besonders?

Der Regisseur wollte ein Geräusch vom Spiegel haben – der ja eine große Rolle spielt. Ich habe tagelang überlegt, wie ich diesen Spiegel zum Leben erwecken kann. Es war klar, dass es irgendwas mit Glas zu tun haben musste, aber es brauchte auch etwas Organisches, etwas Fieses. Ich hab im Keller Glasscheiben zerdeppert, auf Spiegeln gekratzt. Ich habe viele Dinge ausprobiert, angehört, verworfen, aber dann habe ich das Geräusch gefunden. Am dritten Tag habe ich eine Scheibe auf einen Lautsprecher gelegt und ganz tiefe Frequenzen abgespielt, bis die Scheibe anfängt zu vibrieren. Dadurch entstand ein Ton, ein ganz tiefes und voluminöses Vibrieren, der war’s dann. Der Spiegel erwachte zum Leben, plötzlich hatte er diese düstere fiese Seele. Ich war glücklich, der Regisseur war glücklich, aber letztendlich ist das Geräusch nicht einmal im Film zu hören, weil überall Musik liegt. Und zwar so eine tiefe, voluminöse vibrierende Musik.

Sind also Musik und Sounddesign eher Rivalen oder verstehen die sich?

Gute Frage. Im besten Fall bekommen wir die Musik vor der Mischung, dann kann ich mein Sounddesign an die Musik anpassen. Ich kann mich abheben, von den Frequenzen her oder in den Pausen der Musik mein Sounddesign aufblühen lassen. Unpraktisch ist, wenn die Musik erst in der Mischung kommt, wie ja auch in dem Spiegelfilm. Ich spreche das gerne früh an: gibt es schon ein Konzept, gibt es schon Layouts, gibt es schon Musik, aber oft gibt’s noch nicht mal einen Musiker!

Muss man als Sounddesignerin technikverliebt sein?

Technik ist das wenigste, was mich an meinem Job interessiert. Technik muss funktionieren, da bin ich nicht leidenschaftlich. Ich sehe mich als Künstlerin, nicht als Technikerin. Ich arbeite an meinem Schnittsystem, aber ansonsten brauch ich eigentlich nicht viel Technik. Deshalb bin ich wohl Sounddesignerin geworden, und nicht Mischtonmeisterin.

Wie bist du denn Sounddesignerin geworden?

Ursprünglich wollte ich Geige studieren, aber ich hatte kurz vor dem Abitur vom vielen Geige-Üben eine Thrombose im Arm bekommen. Ich habe dann beim Rundfunk eine Ausbildung zur Tontechnikerin gemacht und ein Jahr dort gearbeitet. Danach habe ich an der Filmhochschule Babelsberg Ton studiert. In meinem Studium – ich habe 1994 angefangen – gab es den Begriff des Sounddesign eigentlich noch gar nicht. Wir hatten ein System zum Vertonen, wo man auf einer DAT-Kassette die Spuren anlegen musste. Das war noch sehr in den Anfängen. Ich habe im Studio Babelsberg ein Praktikum gemacht, da wurde gerade das studioframe angeschafft, und ich war drei Monate bei Sony Pictures in Los Angeles. Das war toll, mal reinzugucken in den Hollywoodbetrieb. Mein erster Job war während des Studiums im Studio Babelsberg, anfangs Foleys oder O-Töne schneiden, später habe ich Serien vertont, Helicops und Balko. Ich habe Nächte im Studio verbracht, man braucht ja noch viel länger, hat die Erfahrung noch nicht.

Was war dein erster Film?

Führer X, um 2000, war der erste selbständige Kinofilm als Sounddesignerin, ein Film über Neonazis in der DDR. Das war im Studio Elektro Film, ein Postproduktionsstudio hier in Berlin, für die habe ich auch in den nächsten Jahren viel gearbeitet.

Gibt es ein Rezept deines Erfolges?

Ich arbeite an einem Film einfach bis er gut ist. Ich denke, dem Film zu dienen und ihn so gut wie möglich zu machen, das führt auch zum Erfolg. Wenn ich sie unterstützenswert finde, nehme ich auch Low-Budget-Filme an – wenn ich den Film gut finde, dann verdiene ich lieber ein bisschen weniger, aber kann mein ganzes Herz da rein versenken. Das sind Filme an denen ich Spaß habe.

Filme fürs Portemonnaie, und Filme für die Seele…?

Ja genau, für die Seele. So mach ich das, damit bin ich ganz zufrieden…

Könntest du dich und deine Kinder ernähren, wenn du alleinerziehend wärst?

Ja! Seit ich die Kinder habe, habe ich ein Home-Studio, ich arbeite viel zuhause. Das macht‘s total familienfreundlich. Ich kann mich nachmittags um die Kinder kümmern, und kann mich abends noch mal ran setzen. Ich spare mir die Fahrtzeiten. Das ist ziemlich optimal. [5193]

Den ersten Teil des Gesprächs mit Noemi Hampel finden Sie hier.

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