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Camerimage 2014:

Interview mit Szenenbildnerin Jeannine Oppewall

Jeannine Oppewall ist berühmt für das Szenenbild von historischen Filmen. Sie stattete “L.A. Confidential und “Catch me if you can” aus. Uns erzählte sie beim Camerimage Festival 2014, warum man dabei auf keinen Fall zu genau sein darf. Der Artikel erschien in Ausgabe 5/2015.

Jeannine-Oppewall
Jeannine Oppewall (Bild: Sabine Felber/bf)

Sie haben Geschichte studiert – ein erstaunlicher Einstieg für Filmarchitektur!

Jeannine Oppewall: Mittelalterliche Literatur und Geschichte, um genau zu sein: am Bryn Mawr College in Pennsylvania, wo ich bis 1969 studierte. Das Fach hatte ich gewählt, weil es das komplette Gegenteil der Welt ist, in der wir leben, intellektuell und emotional fast unzugänglich. Ich wollte herausfinden, ob ich einen Weg hineinfinde. Außerdem hat meine Mutter mittelalterliche Literatur als junges Mädchen gehasst – und wir definieren uns doch alle im Gegensatz zu unseren Eltern, oder? Es geht aus meiner Sicht nicht anders.

Ging der Antrieb darüber hinaus?

Jeannine Oppewall: Natürlich. Es ging mir immer darum: Wie versteht man das Heute besser aus dem Gestern? Das war der Ansatz.

Inspirierte Sie von Anfang an auch Architektur?

Jeannine Oppewall: Jeder in meiner Familie ist irgendwie Designer. Ich wollte die Intellektuelle der Familie werden, wollte einen Abschluss in etwas wirklich Absurdem und keine Ahnung haben, was damit anzufangen wäre. Ich war daran interessiert, weil mein Vater Textilmaschinen baute, meine Mutter Puppenkostüme entwarf, mein Bruder Maschinen für Boeing baut und mein anderer Bruder Industriedesign studierte. Tja.

Am Ende also doch Design. Wie kam das?

Jeannine Oppewall: Ich denke, nach einer Zeit findet man heraus, was man gut kann, auf eine geradezu naive Weise. Production Design verbindet viele meiner Interessen. Ich bin sehr an der physischen, der visuellen Welt interessiert. Schon als Kind interessierte mich Fiktion brennend, ich las unter der Bettdecke. Das Geschichtenerzählen mit Bildern lag also nah.

Entscheidend war dann sicher: Sie haben im Büro des Ausnahmedesigners Charles Eames gearbeitet. Wie kamen Sie dorthin?

Jeannine Oppewall: Zufall. In einem Geschichtskurs saß ich neben einem Mitstudenten, dessen Vater ein hohes Tier bei der Herman- Miller-Möbelfabrik war, der Firma, die Eames Möbel baute. Und er sagte: Falls du jemals in Kalifornien bist, kann ich dir einen Besuch bei Eames verschaffen! Und ich sagte: Ich dachte, der ist tot, wir studieren ihn doch in Kunst. Ich landete also in der Möbelfabrik, in der eine klare, saubere, einfache Art ans Design heranzugehen gelebt wurde, die viel mit dem protestantisch-friesischen Erbe meines Vater zu tun hat: sauber und einfach, keine Distanz zwischen dir und deinem Gott. Das Eames-Design machte also Eindruck auf mich, es war für mich direkt mit dem Gott des Designs verbunden. Ich stand irgendwann im Designbüro in Kalifornien, hatte keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen soll, und fragte ganz einfach: Habt ihr einen Job für mich? Und sie hatten einen. Charles Eames war in der staatlichen Agentur National Endowment for The Art, und ich durfte die Projekte für ihn lesen und Kommentare für die Sitzungen vorbereiten. Irre. Und dann sollte ich auch noch die Schwarzweiß-Filmbibliothek verwalten. Ich dachte: okay. Und dann auch noch die Postproduktion von Filmen. Ich dachte: Ups, kann ich nicht. Also rief ich gleich am ersten Tag des Jobs bei Technicolor an und ließ mir einen Schnellkurs geben. Dann verstand ich auch das zumindest soweit, dass ich als Auftraggeber arbeiten konnte. Natürlich kann man auch Design studieren, aber nach meiner Zeit bei Eames fragte mich niemand mehr nach meinem Portfolio. Jedem in L.A. war klar: Wenn du dort länger als vier Monate bleiben darfst, kannst du nicht untalentiert sein. Denn Eames probierte es mit vielen Studenten aus, und jeder wusste, nach drei, vier Monaten entschied er sich. Ich blieb acht Jahre. Und dann war es Zeit für den Sprung.

Nach Hollywood?

Jeannine Oppewall: Nicht sofort. Ich hatte eine Übergangsphase, in der ich lange Dokumentationen für das Radio gestaltete. Man lernt dabei eine gute Hand-Ohr-Koordination. Und es geht in diesen Dokumentationen vor allem darum, was man weglässt. In gewisser Weise eine gute Schule für das, was später folgte. Man muss sich für die Geschichte entscheiden, die man erzählen will. Der ganze Fluss muss dazu beitragen, oder ein Teil muss raus. Selbst wenn er wunderschön ist. Ich habe die Disziplin des Schneidens gelernt. Und dann sprachen mich Freunde an, die mit mir bei Eames gearbeitet hatten und Filme machten.

So ein Werdegang ist heute kaum vorstellbar…

Jeannine Oppewall: Auch damals fühlte ich mich manchmal wie eine Betrügerin – ohne Design-Schule. Aber ich sage jungen Studenten immer: Der Filmbereich liebt die Quereinsteiger, es geht nicht um den geraden Weg, sondern die Inspiration. Ich habe Freunde, die sind Mathematiker und machen Filme. Es ist eine Form der Kommunikation, und es geht darum herauszufinden, in welcher Art von Kommunikation man am besten funktioniert.

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Die meisten Sets hatte Oppewall für Catch Me if You Can (Regie: Steven Spielberg, US 2002) mit Leonardo Di Caprio zu bauen – nahezu 200. (Bild: Warner Bros/mh, Univesral Pictures/nh)

Wir könnten jetzt über zahllose Filme reden angesichts Ihrer Auszeichnung für Ihr Szenenbild- Lebenswerk, aber picken wir einen Film heraus: L.A. Confidential, wie so viele Ihrer Filme ein Period Pic. Was hier ganz besonders auffällt: Es ist nie sauber. Jede Lampe hat Beulen, Kratzer, Patina. Wie ist das Verhältnis von Finden und Bauen bei Ihnen?

Jeannine Oppewall: Manchmal findet man die Dinge, und manchmal baut man sie. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: In dem Buch von James Ellroy und im Skript von Curtis Hanson und Brian Helgeland heißt es über einen zentralen Handlungsort, das Motel, es liegt auf der alten Hauptautobahn außerhalb von Los Angeles, ziemlich verfallen, weil der Freeway verlagert wurde. Ich fragte die Produktion, ob ich es bauen soll, weil viel dort spielt. Ich sollte es finden. Also war ich einen Tag auf der alten Route 66 unterwegs, von San Bernardino bis Ventura. Ich fand genau zwei Motels, eines war völlig abgeranzt, das andere zu weit weg. Also doch: bauen! Aber wo einen Platz dafür finden? Erst am Abend erinnerte ich mich an das erste Mal, als ich in L.A. vom Flughafen ankam und wir durch Ölfelder fuhren. Das war für mich wie ein Schock, und erzählte so viel über das L.A. von früher. Also holten wir uns in den nächsten Wochen die Erlaubnis, in den Stocker Oil Fields ein Motel zu bauen. Es ist immer so: Man ist so lange konzentriert auf der Suche, dass man es einfach weiß, wenn man den richtigen Ort findet. Man ist wochenlang herumgefahren, überall Post-its im Auto mit den Vorgaben von Szenen. Das Kino wiederum, ein anderer wichtiger Drehort, fanden wir in Downtown L.A., einen Block, den wir mit Art Deco ausstatteten. Das Leuchtschild baute ich im Dreiecksformat, für mich eine der sprechendsten Formen überhaupt. Im Prinzip geht es darum, die Geschichte aufzusagen, und dann müssen die Orte zu dir sprechen.

Der Detailreichtum Ihrer Filme – kommt das aus der Fantasie oder ist es historische Referenz?

Jeannine Oppewall: Ich denke, eine Mischung von beidem. Wir haben für L.A. Confidential viel im Polizeimuseum recherchiert. Die Polizeistation bauten wir fast komplett in einem verlassenen Gebäude: acht Stockwerke mit Sets für die verschiedenen Szenen. Das Atrium konnte ich so nutzen, dass verschiedene Büros an der Seite mit Glaswänden plaziert wurden, so dass eine schnelle Verbindung möglich war – wichtig, wenn Protagonisten von einem ins andere Büro hetzen. Ich mag Tiefe im Set, es gibt dem Bild Komplexität, und im Vorderwie im Hintergrund können entscheidende Dinge passieren. Auf eine gewisse Weise ist das die Geschichte des ganzen Films. LA. hat sich immer als Ort der Sonne und des Lichts vermarktet, aber ich denke, es ist einer der korruptesten Orte in den USA, damals wie heute. Wir haben uns auf jeden Fall oft von der historischen Genauigkeit gelöst. In einer Szene suchen die Polizisten, gespielt von Russell Crowe und Guy Pearce, nach Akten, das Büro ist ein einziges großes Schlamassel. So kam mir die Geschichte einfach vor, und der Regisseur fand es treffend. Und jetzt kommt das Wilde: Vor ein paar Jahren war ich dann wirklich in einem städtischen Archiv, und es war schlimmer als alles was ich gebaut hatte!

Neben der Fülle der Szenen scheint die pastellige Palette sehr entscheidend…

Jeannine Oppewall: Als wir uns um die Farbgebung kümmerten, gingen wir bei der alten Union Station spazieren, wo wunderschöne Kacheln verbaut sind, und ich sagte zu unserem Setmaler: Aus den Farben hier formen wir unsere Palette. Heute ist es ein Running Gag. Die Leute sprechen vom »L.A. Confidential Beige«. Aber das L. A. von damals erschien mir mal als beigefarbene Stadt. Es gab hunderte Beiges – und damit spielte ich. Ich mag eine sehr genaue Kontrolle über die Farbpalette, weil das bedeutet, das visuelle Gefühl des Films zu kontrollieren. Mit zu vielen Farben verwirrt man das Publikum. Farbe übertragt ein Gefühl sehr subtil und klar zugleich, ohne es dir aufzudrücken. Es passiert einfach. Ein gut designter Film entfaltet sich für mich, wenn die Farbe die Veränderung der Charaktere aufnimmt. Aber viele Designer verwenden zu viel Farbe. Es geht um die richtige Farbe im richtigen Moment. Man muss sich auch mal der Farbe verweigern, und das Offensichtliche auslassen.

Sie sprechen von feinen Tönen, aber der Bruch ist ebenso wichtig: Kim Basinger in Weiß…

Jeannine Oppewall: Konkret ist das natürlich eine Frage des Kostümbilds. Aber mit den Kostümbildnern spreche ich immer sehr lang – sie sind meine besten Freunde am Set. Man teilt die Idee davon, wann eine Person im Hintergrund verschwindet, wann sie heraussticht. Wir tauschen uns genauestens aus.

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Seabiscuit (Regie: Gary Ross, US 2003) erzählt von Pferderennen während der Depressionsjahre. (Bild: Warner Bros/mh, Univesral Pictures/nh)

Sie nannten das Dreieck als wichtige Form. Bei späteren Verhörszenen gibt es mehrere Büros, zwischen denen die Akteure wechseln und um die Ecke laufen. Und auch das Motel, in dem sich der Film am Ende entscheidet, scheint in der Aufsicht als Dreieck konstruiert…

Jeannine Oppewall: Das sind immer L-Formen, sie müssen im Film darauf achten. Die Wirkung ist eine extreme Spannung in der Szene. An diesen Bauten ist etwas Klaustrophobisches, es schließt die Schauspieler irgend – wie ein und die Zuschauer mit ihnen, wenn man um die Ecke geht. Ein U als Grundriss vermittelt übrigens ein ganz anderes Gefühl. Es geht mir dabei immer um eine Psychologie der Grundrisse.

Es geht da auch oft in Keller, unter Häuser…

Jeannine Oppewall: Die Schauspieler sind wie Ratten, die unterirdisch herumkriechen. Ich kann ihnen sagen, solche Keller sind in Los Angeles schwer zu finden!

War L.A. Confidential Ihr komplexester Film?

Jeannine Oppewall: Was die Zahl der Locations anbelangt, war Catch Me if You Can noch komplexer: 186 Sets! Auch The Good Shepherd hatte mehr als 150 Sets, bei L.A. Confidential waren es um die 100. Jedesmal irre.

Und wie groß ist das Team dabei?

Jeannine Oppewall: Ich halte es gerne so klein wie möglich. Ich bin ja das Muttertier, und je mehr Mitarbeiter ich habe, desto mehr schreien: Fütter mich! Fütter mich! Bei L.A. Confidential war es ein Art Director, ein Set Decorator, aber allein vier Mitarbeiter waren für die technischen Zeichnungen zuständig.

Können Sie mit dem Thema Nostalgie etwas anfangen? Uns scheint es so, dass sich Vergangenheit und Gegenwart immer verbinden…

Jeannine Oppewall: Darum geht es mir sehr stark: dass eine Geschichte heute passieren könnte, auch wenn sie in der Vergangenheit spielt. Man kann sagen, eine Geschichte passiert ungefähr in den 1950ern; aber es ist viel besser für den Film, es nicht noch genauer zu bestimmen. Ob eine Lampe erst zwei Jahre nach dem Handlungszeitpunkt produziert wurde, ist egal, so lange die Zuschauer glauben, dass ein bestimmter Stil mit einer bestimmten Ära verbunden ist und das Objekt dieses Gefühl stark vermittelt. Man kann das richtige Objekt haben und es sieht falsch aus, und das falsche Objekt, das sich wunderbar anfühlt. Man darf das nie vergessen und sollte damit spielen. Es geht um die Atmosphäre. Und die muss konsistent sein!

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Bei der Polizei in L.A. Confidential (Regie: Curtis Hanson, US 1997) läuft wegen der Ermittlungen von Ed Exley (Guy Pearce, rechts) einiges nicht mehr wie geschmiert, gezeigt in tief gestaffelten Szenen. (Bild: Warner Bros/mh, Univesral Pictures/nh)

Nach einigen Indie-Filmen arbeiten Sie wieder an einem Period Pic –mit Warren Beatty…

Jeannine Oppewall: Warren hat 15 Jahre keinen Film gemacht und sagte uns immer, dass das Filmbusiness sich komplett verändert habe. Niemand bezahlt mehr für Drama. Er hat dennoch Geld für sein Projekt aufgetrieben – von sieben Milliardären. Er wird Howard Hughes spielen, aber es ist kein Biopic. Es geht um zwei junge Leute, die in dieses irre Los Angeles kommen, irgendwann um die Mitte der 1950er, und auf Howard Hughes treffen, der ihre Leben aufmischt. Ein echtes Warren- Projekt: Inspiriert hat ihn eine Affäre in einem Hotel, wo überall Sicherheitspersonal herumschwirrte, auch neben seinem Zimmer. Warren beschwerte sich über die Belästigung, der Portier sagte nur, dass seien die Leute von Mister Hughes. »Hughes hat das Zimmer neben mir?«, fragte Warren. Der Portier sagte nur: »Mr. Hughes hat elf Suiten, ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, in welcher er sich befindet.« Das hat Warren nie vergessen. Ich musste ihm jedenfalls unzählige Hotelzimmer bauen, auf einem Drehset, die nach 50er- London, Mexiko oder Washinghton aussehen.


Jeannine Oppewall… wurde am 28.11.1946 bei Uxbridge, Massachusetts, geboren. Sie ist eine der renommiertesten Szenenbildnerinnen der USA und arbeitet seit Ende der 1970er Jahre in Hollywood. Viermal wurde sie für den Oscar nominiert (Pleasantville, Seabiscuit, L.A. Confidential und The Good Shepherd). Der kreative Prozess sei durch die Digitalisierung immer schwerer zu kontrollieren, sagt sie ohne übertriebenen Pessimismus: »Es ist ein neuer Evolutionsschritt, es gab so viele. Wissen Sie, wenn man einen Film auf dem iPad sieht, ist man ganz bei Thomas Edisons Vorstellung von Kino: Eine Münze einwerfen, ein kleines Bild anschauen. Zurück auf Anfang.«

http://imdb.to/1C5W6Iw

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