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"Man kann viel mehr ausprobieren."

Filmplus 2017: Interview mit Ehrenpreisträgerin Inge Schneider

Das Filmplus-Filmfestival 2017 findet vom 13. bis zum 16. Oktober statt. Für unsere Ausgabe 11/2017 sprach der Hommage-Kurator Werner Busch mit der Ehrenpreisträgerin Inge Schneider. Lesen Sie hier den zweiten Teil des Interviews. [ID 2471]

Szenenfoto aus „Die Spielwütigen“ von 2004.°

Wie schwierig war es, die globale Problematik in den Film einzubinden?

Der globale Aspekt kam später dazu, denn wir haben schnell gemerkt, dass das nicht einfach nur ein Film über Kleinbauern werden darf. Das Thema ist so groß! Wir brauchten die Wissenschaftler, die Banken, wir brauchten den Konsum, diese ganzen Zahlen halt. Es war schwierig, all diese Aspekte in das erarbeitete Grundgerüst einzufügen, ohne dass die Emotion für unsere Geschichte verloren geht, denn wenn die globalen Aspekte ausufern, fragt man sich schließlich, in welchem Film man sich überhaupt befindet.

Erst viel später kam die Idee, unsere Kernsequenz mit der Besetzung des Feldes quasi zu teilen, was dem Ganzen dann zu einem neuen Aufbau verhalf und dem Film eine viel größere Kraft verlieh. Endlich kam die ganze Geschichte zum Strahlen. Und ich war damals sehr froh, dass ich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nur sehen, sondern auch fühlen konnte.

Zudem ist es schön zu sehen, was der Film bewirkt hat. Der Protagonist Geronimo erhielt auf dem Festival in Den Haag, als Kämpfer für den Erhalt der Menschenrechte, den mit 7000 Euro dotierten „Golden Butterfly“. Er wird von etlichen Bauernverbänden Europas eingeladen und unterstützt. So konnte er zweimal nach Europa reisen, er konnte das Meer sehen, er konnte einen Lastwagen kaufen, weil er das Preisgeld gewonnen hat. Sein Sohn konnte studieren und generell wird er in Paraguay nun ganz anders angesehen. Dass ein Film so etwas auslösen kann, macht mich glücklich.

Haben sie bemerkt, dass sich ihre Arbeitsweise im Laufe ihrer Karriere verändert hat?

Na klar! Es ist schon alles viel einfacher geworden mit dem digitalen Schnitt, man kann viel mehr ausprobieren, Dinge aufheben und wieder abrufen. Nichts von dem was ich mache, ist umsonst. Allerdings hat die Materialmenge wahnsinnig zugenommen. Das sind ja richtige Bilderfluten! Ich schaue mir erst mal alles an, und nehme alles weg, was mir unbrauchbar erscheint. Das ist eine gute Methode, um den Ballast loszuwerden und das Material kennenzulernen. Und dann fange ich einfach an, eine Szene zu schneiden. Oft ist es die, die mich beim Muster schauen am meisten beeindruckt hat. Während des Sichtens überlege ich schon: Kann ich eine kleine Geschichte erzählen, also jenseits der großen Geschichte? Das Schwierige dabei ist, zu reduzieren, um wirklich auf den Kern der Dinge zu kommen. Eine Geschichte zwischen Menschen auch mit Blicken zu erzählen, finde ich noch immer faszinierend. Wann immer ich im Material Dinge entdecke, die mir helfen, eine Szene auf meine spezielle Art zu gestalten, bin ich sehr froh.

Durch die Digitalisierung bin ich auf Schnittassistenten angewiesen, die technisch fitter sind als ich. Einen ständig anwesenden Schnittassistenten gibt es aber leider nur noch sehr selten. Heutzutage legt der Assistent das Material nur an und erscheint dann nur noch bei technischen Problemen im Schneideraum.

Ich finde es positiv, dass durch die Digitalisierung die Vertonung für den Dokumentarfilm einfacher geworden ist. Es ist besonders für Rohschnittvorführungen wichtig, dass es bereits ein kleines Tonkonzept gibt. Das war beim analogen Schnitt nicht so einfach zu machen. Schon die Möglichkeit der Angleichung der Töne in der Lautstärke ist eine große Erleichterung.

Die kleine Geschichte in der großen finden: „Raising Resistance“.
Die kleine Geschichte in der großen finden: „Raising Resistance“.

Wie würden Sie die Unterschiede bei der Tongestaltung zwischen Spielfilmen und Dokumentarfilmen umreißen?

Das ist eine schwierige Fragen, denn alles ist doch beim Feinschnitt schon sehr komplex, alle Gedanken zu Übergängen oder zu der Stimmung einer Szene sind so gut es mit den vorhandenen Tönen möglich war, skizziert. Einen großen Unterschied gibt es da nicht für mich. Wenn der Schnitt so einigermaßen steht, wird der Sound Designer eingeladen. Wir schauen uns den Film gemeinsam an, ich spreche über meine Wünsche, über eventuelle Schwierigkeiten, die es mit bestimmten Tönen geben könnte. Oft werden Entscheidungen auch erst in der Mischung gefällt, zum Beispiel das Ausblenden von Atmos und Musiken.

Die Musik im Film spielt während des gesamten Schnittprozesses eine große Rolle für mich. In den meisten Fällen arbeite ich, wenn Regie und Schnitt sich für den Einsatz von Musik entschieden haben, mit Layoutmusiken, die der Stimmung einer Szene entsprechen. Kommt dann der Musiker mit seinen Vorschlägen hinzu, kann sich noch sehr viel verändern.

Haben Sie im Laufe der Jahre eine Wandlung in der Wahrnehmung des Berufsbildes der Editoren erlebt? Sei es „branchenintern“ oder in der Öffentlichkeit?

Nein. Der Editor steht noch immer zu sehr im Hintergrund. Zum Beispiel wird bei den Credits in den Zeitungen, bei Filmkritiken oder bei Inhaltsangaben im TV in der Regel kein Schnitt erwähnt, sondern nur Regie, Kamera und Musik. Dabei gehören Regie, Kamera und Schnitt doch zusammen. Aber durch Filmpreise wie Filmplus erfährt das Berufsbild eine Aufwertung, die ich wichtig finde.

Sie haben im Jahr 2004 für „Die Spielwütigen“ ja den allerersten Bild-Kunst Schnitt-Preis Dokumentarfilm gewonnen. In der Jury saß damals auch der Schauspieler und Kolumnist Dietrich Kuhlbrodt. In einem TAZ-Artikel zu Filmplus 2004 propagierte er, dass man, statt von „Autorenfilm“, eigentlich von „Editorinnenfilm“ sprechen müsse. Und fragte: „Wer von beiden das eigentlich ist, der dem Werk den Namen geben sollte: der Regisseur (Konzept)? Die Editorin (Gestalt)?“

Für die Arbeit im Schneideraum kann man das oft so stehen lassen. Voraussetzung ist natürlich, dass der Editor oder die Editorin nicht nur technisch versiert ist, sondern vor allem inhaltlich und dramaturgisch denken kann.

Das heißt nicht, dass der Film dann im Schneideraum entsteht, sondern er entsteht neu und/oder verändert sich in den Händen eines guten Editors oder einer Editorin. Allerdings darf man nicht vergessen, was die Regie dann vorher alles geleistet hat, bevor die Arbeit im Schneideraum überhaupt beginnen kann. Eine Idee im Kopf haben, dies aufschreiben und anderen zugänglich machen, um eine Finanzierung zu besorgen, das bedeutet oft, jahrelang an einer Idee festhalten und daran glauben, bevor überhaupt gedreht werden kann. Und die Regie muss viele Mitstreiter suchen. Und vor allem natürlich auch eine gute Editorin.

Hier geht es zurück zum ersten Teil des Interviews.

[ID: 2471]

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hilfe, der Text hat noch gar nicht angefangen und schon ist alles voller Deppen Leer Zeichen. Es lebe der Einzug der Werbe Sprache in die Kunst Szene.

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    1. Vielen Dank für den Hinweis! WordPress hat eine frühe Version des Artikels online geschickt! Jetzt sollte es die finale Version sein.

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