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Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (4)

Ehrliche Bilder – DoP Nikola Krivokuća

Unsere Serie mit den Gewinnerinnen und Gewinnern beim 31. Deutschen Kamerapreis geht weiter: Nikola Krivokuća erhielt den Preis für die beste Kamera bei einem journalistischen Kurzformat.

DoP Nikola Krivokuca als Steadicamoperator
Foto: Tigran Hovhannisyan

Nikola Krivokuća, 1981 in der serbischen Stadt Niš geboren, absolvierte von 2005 bis 2008 eine Ausbildung zum Mediengestalter für Bild und Ton und nahm dann 2010 sein Kamerastudium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München auf. Er arbeitet als freiberuflicher Cinematographer und als Steadicam-Operator. Sein Hauptaugenmerk liegt auf Dokumentarfilmen und Dokumentationen sowie Werbung. Seine Leidenschaft für die Kameraarbeit begründet Nikola Krivokuća damit, seinen persönlichen Blick auf Menschen und deren Geschichten in empathische Bilder übersetzen zu dürfen. Er hat zahlreiche Nominierungen und Auszeichnungen erhalten. So gehörte Nikola Krivokuća zu den Nominierten für den Deutschen Kamerapreis 2020 in der Kategorie „Dokumentarfilm“ für „Bekar Evi – Das Junggesellenhaus“.

Was hat es für dich bedeutet, den Deutschen Kamerapreis für deine Kameraarbeit bei „Was bleibt. Ein Tag in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg“ bekommen zu haben?
Ich habe mich natürlich sehr über diese Anerkennung gefreut. Besonders, weil der Film so aktuell ist. Man erfährt viel über das Thema Erinnern, was gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig ist, da viel von den letzten Zeitzeugen die Rede ist.

Wie bist du an das Projekt gekommen und wie hast du dich dem Thema genähert?
An das Projekt bin ich durch den Regisseur Dirk Schäfer gekommen. „Was bleibt.“ ist unser dritter gemeinsamer Film. Wir hatten davor 2018 für Arte „Bekar Evi“, einen Dokumentarfilm über kurdische Saisonarbeiter in Istanbul gedreht. „Was bleibt – Ein Tag in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg“ war eine Auftragsproduktion für den BR. Als Dirk mich gefragt hat, ob ich Interesse und Lust hätte, den Film mit ihm zu machen, habe ich sofort zugesagt, denn das Thema hat mich direkt angesprochen und ich schätze unsere Zusammenarbeit sehr. In der Vorbereitung habe ich mit Dirk über seine Herangehensweise und über seine Vorstellungen zum Film gesprochen, selbst zum Ort und dessen Vergangenheit recherchiert und eine Motivbegehung gemacht. Ich war mit meiner Frau und unserer jüngsten Tochter, die damals ein Jahr alt war, auf dem Rückweg von Dresden nach München und ich habe vorgeschlagen, an der KZ-Ge- denkstätte anzuhalten. Meine Frau wollte das zunächst auf keinen Fall! Sie erinnerte sich noch gut an die beklemmen- de Atmosphäre beim Besuch des KZ Buchenwald in ihrer Jugend. Auf dem Parkplatz angekommen, hat sie aber ihre Meinung geändert und fünf Minuten später standen wir mit dem Kinderwagen im ersten Ausstellungsraum!

Filmstill aus "Was bleibt"
DoP Nikola Krivokuća dreht auch Dokumentationen gern mit Festbrennweiten.(Foto: Nikola Krivokuća)

Das fand ich für die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg bezeichnend. Die Atmosphäre vor der Gedenkstätte lässt schon erahnen, dass man dort den Freiraum bekommt, sich selbst dem Thema anzunähern. Mir war dann sehr schnell klar, dass ich das in die Kameraarbeit aufnehmen möchte. Das Besondere an dem Ort ist, dass die schrecklichen Taten, die dort begangen wurden, heute in einer Form zugänglich gemacht werden, welche die Ernsthaftigkeit der Lage verdeutlicht, ohne abzuschrecken. Es war mir wichtig, dass dieser Aspekt in der Bildgestaltung zum Tragen kommt.

Wie hast du das konkret gelöst?
Durch die vielschichtige Aufarbeitung der Vergangenheit in der KZ-Gedenkstätte verändert sich auch der Ort. Mir lag sehr viel daran, diesen Wandel durch eine bewegte Kamera einzufangen. Es sollte eine beobachtende und analysierende Kamera sein, die immer da ist, wo ich sein will, aus der Perspektive erzählt, aus der ich beobachten möchte. Dabei habe ich eine Bildsprache geplant und umgesetzt, die von der Kamerabewegung lebt, ohne dass diese Bewegung im Vordergrund steht. Stattdessen wird der Inhalt, was vor der Kamera passiert, in den Vordergrund gestellt. Dabei war schnell klar, beim Dreh in Flossenbürg eine beobachtende Steadicam einzusetzen. Die Steadicam erlaubt es mir, fließend Perspektiven zu wechseln und mit präzisen Bewegungen ausgewählte Aspekte des Handelns der Protagonisten zu betonen. Dirk Schäfer und ich hatten das dokumentarische Arbeiten mit der Steadicam schon bei „Bekar Evi“ intensiv erprobt und erfolgreich eingesetzt. In Flossenbürg war es aber auch wichtig, in bestimmten Situationen kontrapunktisch mit Stativ zu arbeiten.

Kannst du da ein Beispiel nennen?
Die Anfangsmontage im „Tal des Todes“ und im Krematorium habe ich vom Stativ in Tableaus gedreht. Diese Einstellungen setzen sich stark mit der grausamen Vergangenheit des Ortes auseinander. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Besonders im Krematorium empfand ich eine derart zeitlos bedrückende Atmosphäre, dass an Kamerabewegungen nicht zu denken war.

In den Ausstellungsräumen der Gedenkstätte herrscht hingegen eine eher museale Atmosphäre. Hier finden die Führungen und die Pflege der Exponate statt. Bei der aktiven Auseinandersetzung mit dem Ort, seiner Geschichte sowie seiner heutigen Nutzung erschien mir die Erzählweise mit der Steadicam als besonders passend, da sie mit ihren fließenden Bewegungen die Wandlung des Ortes symbolisiert. Insgesamt fand ich es wichtig, einprägsame und aussagekräftige Bilder zu gestalten, welche den Zuschauern Spielraum für eigene Interpretationen und Assoziationen lassen.

In deiner Filmografie finden sich oft Themen, bei denen sicher viele lieber wegschauen würden.
Aber ich will hinschauen! Das ist der Grund, wieso ich Filme wie „Tote auf der Balkanroute“ oder „Was bleibt. Ein Tag in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg“ mache. Wenn man bewusst hinschaut, entwickelt man eine Haltung zum Thema und aus dieser Haltung heraus entsteht die Bildsprache. Ohne Haltung besteht sonst die Gefahr der Beliebigkeit der Bildsprache. Natürlich gibt es sehr viele Gestaltungsmittel und Möglichkeiten, wir können zwischen Brennweiten wählen, zwischen Filtern, Steadicam, Stativ, Handkamera, Kran, Drohne, Objektiven, Sensorgrößen. Aber wenn ich keine Haltung zur Geschichte entwickle, dann bleibt die Wahl der visuellen Ausdrucksmittel beliebig. Und das wäre nicht gut, finde ich.

Filmstill aus der Titelsequenz von "Was bleibt"
Wenn Kamerabewegungen nicht zur Atmosphäre gepasst hätten: Filmstill aus „Was bleibt.“ (Foto: Nikola Krivokuća)

War es körperlich fordernd, während eines langen Drehtags für einen Dokumentarfilm mit potenziell langen Takes mit der Steadicam zu arbeiten?
Ja, aber dann ist es halt so. Punkt. Man fängt an, wenn man anfängt und hört auf, wenn man fertig ist. Bei „Bekar Evi“ hatte ich Rigging-Zeiten von bis zu acht Stunden am Tag. Bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg war das aber nicht so ausufernd. Das waren vielleicht mal dreieinhalb Stunden am Stück, wenn wir eine Führung begleitet haben, am Ende des Tages also gar nicht so schlimm. Natürlich ist es da recht förderlich, halbwegs fit in den Dreh zu starten. Ich schaue dabei, dass ich nicht gerade mit einem 30 Kilo schweren Rig drehe, sondern dass ich die Steadicam so schwer wie nötig und so leicht wie möglich halte. Wenn die zu leicht ist, dann fließt es nicht schön. Wenn sie zu schwer ist, dann werden für mich lange Takes viel anstrengender. Und beim Dokumentarfilm kommt es häufig zu langen Takes! Ich hatte oft Situationen, wo die Kamera bereits eine Dreiviertelstunde läuft, ohne dass das Gespräch oder die Beobachtung beendet ist. Da ist es wichtig, konzentriert zu bleiben, denn man weiß nicht, was als Nächstes passiert.

Und wenn man dann Erschöpfungserscheinungen hat, schwindet auch die Konzentration. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden! Es gibt Situationen, wo ich merke, dass sich meine Körperhaltung verschlechtert und ich mich anders hinstellen muss. Dann warte ich den richtigen Moment ab, um mich neu zu „justieren“ oder kurz zu lockern. Das macht man ja auch mit der Schulterkamera, zum Beispiel wenn man in die nächste Perspektive umsetzt.

Mit welcher Kamera und welchen Optiken hast du gedreht, wenn das Gewicht ein Kriterium war?
Ich habe mit der Varicam LT gedreht, die für Dokumentarfilm in den letzten Jahren meine absolute Lieblingskamera gewesen ist, vor allem wegen der Dual ISO und dem tollen Farbmanagement. Als Objektive hatte ich in Flossenbürg die Canon CN-E-Primes im Einsatz. Diese Objektive haben durch ihren zurückhaltenden filmischen Look und ihre Klarheit und Schärfe gut zu der analytischen Herangehensweise gepasst. Ihre Lichtstärke erlaubt es außerdem, durch geringe Schärfentiefe bewusst Akzente zu setzen und den Blick der Zuschauer zu lenken. Technisch gesehen hatten sie den Vorteil, dass sie alle fast gleich schwer beziehungsweise leicht sind. Daher ist es relativ egal, ob man von der 14-mm-Optik zur 24er oder zur 50er wechselt: Die Steadicam ist innerhalb von Sekunden wieder austariert. Für „Was bleibt.“ hatte ich übrigens als Steadicam die Archer 2 dabei, das ist ein tolles Rig, das sauber läuft, aber trotzdem leicht ist.

Ein weiterer positiver Effekt beim dokumentarischen Arbeiten mit der Steadicam ist für mich, dass mein Blick immer frei ist. Die Protagonisten können also mein Gesicht sehen, weil ich keine Kamera habe, die durch den Sucher ein Auge verdeckt – oder einen Teil meiner Mimik. So verringert sich die Distanz zwischen den Protagonisten und mir – trotz umfangreicher Technik. Darauf habe ich schon immer Wert gelegt, auch bei der Arbeit mit Schulterkamera. Wenn eine kurze Drehpause ist, dann die Kamera sofort auf den Boden, auf den Tisch, unter den Arm klemmen, aber nicht auf der Schulter lassen und das Gesicht verstecken!

Bei dem Dreh in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg gibt es Situationen, wo man sieht, dass jemand die Kamera entdeckt. Aber wenn ich mit der Steadicam drehe, dann schauen die Leute nicht in die Kamera, sondern sie sehen mich an.

Weswegen hast du die Dokumentation mit Festbrennweiten und nicht mit einem Zoom gedreht?
Ich arbeite bei Dokumentarfilmen und Dokumentationen prinzipiell sehr gerne mit lichtstarken Festbrennweiten. Zum einen bevorzuge ich den Look und habe gern die Möglichkeit mit geringer Schärfentiefe gestalten zu können. Vor allem aber mag ich den bewussten Umgang mit der Brennweite. Es entsteht dadurch ein klares Verhältnis zwischen Nähe und Distanz zwischen den Protagonisten und mir. Entscheide ich mich, kurzbrennweitig zu drehen, erfordert dies bei Nahaufnahmen oft
Feinfühligkeit und Geduld. Neulich habe ich mit Jugendlichen gedreht und ich hatte mich für eine 24-mm-Festbrennweite entschieden. Die zwölfjährige Hauptprotagonistin stand am ersten Schultag nach den Sommerferien auf dem Schulhof und unterhielt sich mit ihren Freunden. Ich habe versucht, Nahaufnahmen von dem Gespräch zu machen. Bei den ersten Anläufen hat das nicht geklappt. Ich habe gemerkt: Wenn ich mich aus der Halbtotalen ein, zwei Schritte auf die Gruppe zubewege, wechseln sie das Thema. Aber mit etwas Geduld war die anfängliche Distanz überwunden, ich stand direkt neben ihnen und sie haben das akzeptiert. Das ist dann, finde ich, in diesem Fall ein ehrliches Bild. Wenn ich eine Totale mache, stehe ich hinten in der Ecke und wenn ich eine Naheinstellung mache, dann stehe ich halt direkt daneben und mitten in der Geschichte – was in diesem Fall zum Konzept der Erzählung passte.

Bei „Tote auf der Balkanroute: Vermisst – verscharrt – verdrängt“ habe ich mich auch bewusst dafür entschieden, den Film fast ausschließlich kurzbrennweitig zu drehen, um eine Unmittelbarkeit zu erzeugen. In Momenten, wo ich einen Menschen mit der Kamera bei besonders tragischen Momenten begleitet habe, war ich bei einer nahen Einstellungsgröße neben ihm und habe genau gespürt, ob das jetzt angebracht ist oder nicht.

Die Führung der Schulklasse bei „Was bleibt.“ habe ich bewusst langbrennweitiger gedreht, um die Jugendlichen von ihrer Umgebung abzusetzen und dadurch Ruhe und Intimität zu erzeugen. Durch die physische Distanz konnte ich zudem eine beobachtende und analysierende Haltung einnehmen. Aber auch hier gilt: Möchte ich die Einstellungsgröße ändern, ohne aus dramaturgischen Gründen die Brennweite zu wechseln, muss ich meinen Standpunkt ändern. Durch das Ändern des Standpunktes oder das Aushalten der Brennweite in Situationen, in denen man weder Standpunkt noch Objektiv ändern kann, entstehen oftmals interessante und kompromisslose Bilder. Das finde ich spannend. Visuelle Stärke lebt von gegenseitiger Annäherung. Es ist für mich jedes Mal ein Geschenk, wenn Menschen, die ich filme, ihren Alltag und ihre Geschichten mit mir teilen. [14959]

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