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Symposium der Kölner Dokumentarfilminitiative

Plädoyer für die dokumentarische Form

Das Symposium der Kölner Dokumentarfilminitivative (dfi) befasste sich in diesem Jahr mit dem Thema „Prozessieren. Zwischen dokumentarischen und juristischen Verfahren“.

Szene vom dfi-Symposium
Foto: Conny Beißler / dfi

Verbrechen, deren Aufklärung und juristische Verhandlung faszinieren Menschen. Der Erfolg von Serien wie „Matlock“, „Boston Legal“, „Practise“ oder „Law & Order“ aus den USA, oder deutsche Formate wie „Liebling Kreuzberg“, „Danni Lowinski“ oder die Adaptionen von Ferdinand von Schirach sprechen dafür. Nicht nur im fiktionalen Bereich, auch im Dokumentarischen gibt es eine lange Tradition, juristische Prozesse aufzugreifen. Die Frage nach möglichen Parallelen zwischen juristischen und dokumentarischen Verfahren bildete den Ausgangspunkt des dfi-Symposiums. Kuratorin Michelle Koch ergänzte diese Frage mit der Kon- zeption der dicht getakteten Veranstaltung um weitere Themenansätze. Ob Bilder als Beweismittel dienen können, welche Bedeutung die Schuldfrage für Filmschaffende hat und wie dokumentarische Bilder für etwas gefunden werden können, was nicht gefilmt werden darf, kam in den Vorträgen, Filmgesprächen und Diskussionen immer wieder zur Sprache und wurde von Journalist Matthias Dell und Filmemacherin Mala Reinhard („Der zweite Anschlag“) moderiert.

Am ersten Tag stand die Prozessdokumentation im Mittelpunkt. Sylvie Lindepergs Vortrag „Nuremberg. The Battle of Images“ drehte sich um die unterschiedlichen Herangehensweisen und rechtsethischen Auffassungen, mit denen die Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkriegs über die filmische Dokumentation der Nürnberger Prozesse und die Deutungshoheit der erzeugten Bilder stritten. Den USA schwebten Gerichtsdramen made in Hollywood vor, bei denen die „Schändlichkeit“ der Nazis betont werden soll- te. Die Sowjets orientierten sich laut Historikerin Lindeperg an der Inszenierungsart der stalinistischen Schauprozesse der 1930er Jahre. Anschaulich wurde diese Methode im anschließenden Screening von „The Kiev Trial“ (2022) von Sergei Loznitsa. Der ukrainische Regisseurmontiert darin ausschließlich Archivmaterial des ersten Nachkriegsprozesses gegen deutsche Nazis 1946 in der Sowjetunion. Neben den 15 Angeklagten kommen auch Überlebende der Gräueltaten in Auschwitz und Babi Yar zu Wort. Der Film endet mit authentischen Aufnahmen der Vollstreckung der Urteile durch Erhängen. Wie von Lindeperg erklärt, verfolgten die Sowjets zwar einen archvierenden Anspruch. Sie verzichteten aber nicht auf filmsprachliche Mittel wie Nahaufnahmen oder Perspektiven wie die leichte Untersicht, um Emotionen zu lenken und Hierarchien oder Sympathien auszudrücken.

Im anschließenden Filmgespräch ging es in einer dritten Ebene um Loznistas eigenen Umgang mit dem Archivmaterial. Wie authentisch der laute Applaus bei der Verlesung der Todesurteile oder die Geräuschkulisse während der öffentlichen Hinrichtung ist, legt der Film beispielweise nicht offen. Die drastischen Bilder einer rund um die Galgen feiernden Menschenmenge stehen in Kontrast zur streng formalisierten Rechtssprechung von heute.

Die Kameraleute Till Vielrose und Hajo Schomerus beim dfi-Symposium
Zwei von insgesamt zehn am Film beteiligten Bildgestaltern: Till Vielrose und Hajo Schomerus (v. l.) im Gespräch über ihre Arbeit an „Loveparade – Die Verhandlung“ (Foto: Conny Beißler / dfi)

Sich ein Bild machen – ohne Bilder

Ein zentraler Diskussionspunkt des Symposiums war das Verbot von Bild- und Tonaufnahmen in deutschen Gerichtssälen, das der Paragraph 169 des Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) regelt. Seit 1998 darf allerdings in beschränktem Umfang im Bundesverfassungsgericht gefilmt werden, 2018 wurde die Regelung noch erweitert. Seitdem dürfen Urteilsverkündungen aller fünf obersten Bundesgerichte gefilmt und diese Aufnahmen veröffentlicht werden. In den meisten Fällen ist es aber nach wie vor so, dass die Kameras abgeschaltet werden müssen, wenn die Richterinnen und Richter den Saal betreten und ihren Platz eingenommen haben. Das galt auch für den Prozess, der im Fokus von Dominik Wesselys Dokumentarfilm „Loveparade – Die Verhandlung“ steht: Nach 184 Verhandlungstagen kommt das Gericht kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist zu keinem Urteil. Keiner der Angeklagten kann allein verantwortlich gemacht werden, erst die Summe von Entscheidungen führte zur Katastrophe vom 24. Juli 2010 mit 21 Todesopfern und 652 Verletzten.

Die Diskussion mit Produzentin Antje Boemert sowie Till Vielrose und Hayo Schomerus, zwei der insgesamt zehn am Film beteiligten Kameraleute, gab Einblick in pragmatische Lösungen, etwas visuell zu dokumentieren, was nicht gefilmt werden darf. An allen Verhandlungstagen waren Wesselys Kamerapersonen vor Ort, filmten die Ankunft wichtiger Zeugen und immer wieder den Einzug des Gerichts. Außerdem konnte der Gerichtssaal zwischenzeitlich angemietet und Einstellungen auf Namensschilder oder leere Pulte nachgestellt werden. Um den Ablauf des Prozesses inhaltlich nachzuvollziehen, fertigte das Filmteam ein eigenes Protokoll an, denn Gerichtsverhandlungen werden in Deutschland standardmäßig auch nicht schriftlich protokolliert.

Die Abschlussdiskussion des ersten Symposiumtages kreiste hauptsächlich um diese Schwierigkeiten. Argumente für die Archivierung und größere Transparenz in Rechtsfindung und Rechtsprechung standen dabei der Sorge gegenüber, Aufnahmen aus Gerichtssälen könnten durch eine bestimmte Haltung der Filmenden oder im Schnitt manipuliert werden, um Aussagen vor Gericht aus dem Kontext zu reißen und zu verfälschen. An einigen Stellen der leidenschaftlichen, aber mit reichlich juristischem Halbwissen geführten Debatte hätte man sich fundierte juristische Wortmeldungen gewünscht. [15432]


Hier können Sie mehr über die Diskussionen und Panels beim dfi-Symposium im Filmhaus Köln lesen!


 

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