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Große Überraschung beim 26. Camerimage Festival (1)

Das war das Camerimage 2018: Kalter Krieg

Zum letzten Mal fand das Camerimage in Bydgoszcz statt und ist nun zum dritten Mal in seiner Geschichte auf der Suche nach einer neuen Heimat, die es auch außerhalb Polens suchen wird. Jens Prausnitz berichtet im ersten Teil seines Festivalberichts von zweierlei kaltem Krieg.

Festivalleiter Marek-Zydowicz im Kreise seines Teams. (Bild: Ernest Kaczynski, WWW.PEK.PHOTOGRAPHY.COM)

Im Polnischen heißt das, was wir als einen polnischen Abgang bezeichnen, „englischer Abgang“, doch gemeinsam haben beide, dass ihnen keine Ankündigung vorausgeht. Marek Żydowicz hat jedoch genau das auf der Abschlussveranstaltung getan, drastische Budgetkürzungen seitens der Stadt öffentlich gemacht und seine Gäste dazu aufgerufen, eine neue Heimat für das Festival zu finden. Vorausgegangen war dem Konflikt eine unterschriebene Absichtserklärung in Toruń, dort das lang ersehnte Festivalzentrum zu errichten, was man in Bydgoszcz als Affront wahrgenommen hat. Eine Versöhnung scheint ausgeschlossen, obwohl beide Städte in der gleichen Wojewodschaft liegen, die mit eigenen, regionalen Fördermitteln beteiligt ist.

Dass es einmal mehr an Geld mangelte, konnte man bereits an der neuen Namensgebung EnergaCamerimage ablesen, frühere Engpässe hat das Festival bereits mehrere Jahre lang an der Seite eines Mobilfunkanbieters überstanden, so knapp wie dieses Mal war es aber noch nie: Das Programm schrumpfte um Spätvorstellungen und einen ganzen Tag im Multikino, die für die beliebten Studioseminare mit Filmset zuständige Halle auf dem Gelände der Wirtschaftsschule stand diesmal in der zweiten Wochenhälfte zur Verfügung. An sich kein Problem, würden nicht am Freitag bereits viele Studenten wieder abreisen, was zur Folge hatte, das nur ein Drittel der Plätze für das Sony-VENICE-Event besetzt war, was weder an der Kamera, noch dem Interesse der Studenten lag, aber sicher vom Sponsor registriert wurde. Gleichzeitig war der Andrang auf viele Vorstellungen so groß, dass man immer öfter vergeblich vor bereits vollen Sälen stand, was zunehmend gerade die langjährigen Besucher verärgert. Der Festivalleitung ist all dies sicher bewusst, die Politiker auf der Bühne wiederholten hingegen die Ankündigung aus dem Vorjahr, man werde ja die Oper um einen vierten Kreis erweitern, um weiter wachsen zu können. Entsprechende Baugerüste an der Außenseite suchte man jedoch immer noch vergebens. Insofern hat das Festivalplakat beinahe etwas Prophetisches: der Hand wächst ein Flügel, der Abflug steht bevor. Dem geschlossenen Auge zum Trotz bricht sich die Einsicht Bahn vor dem, was man eigentlich nicht sehen will – und schon hat man den Blues.

Emigration

Programmatisch dazu passend gewann „Cold War“ (2018, DoP: Łukasz Zal, Regie: Paweł Pawlikowski) den silbernen Frosch, die weiter an ihrem mit „Ida“ (2013) begonnenen „S/w-cinematic-academy-ratio-universe“ stricken, ein wahrer Augen- und Ohrenschmaus. Der Film verfolgt die heißkalte Liebesbeziehung eines Komponisten und einer Sängerin zu Zeiten des kalten Krieges vom fragilen Nachkriegspolen bis ins jazztrunkene Paris der 1950er Jahre, die über all die Jahre hinweg doch nicht voneinander lassen können. Freiheit, Folklore und Politik sind nicht unter einen Hut zu bringen, und den Weg ins Ausland tut niemand, der seine Heimat liebt, freiwillig.

Andrzej Krakowski berichtete in seinem Seminar über die 1968 aus Polen ausgewiesenen jüdischen Filmemacher, denen damals die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, zu denen er selbst und seine Eltern zählten. Damit erinnerte er an eins der dunkelsten Kapitel der jüngeren polnischen Geschichte, die sich übrigens nicht allein auf die Filmbranche beschränkte, dort aber zur Auflösung von sechs der insgesamt acht damaligen Studios beziehungsweise Filmgruppen führte. An derlei wollen sich selektiv denkende Patrioten nur ungern erinnern lassen, dabei würde den Betroffenen beziheunhsweise deren Nachkommen eine symbolische, posthume Rehabilitierung genügen.

Wie sich eine ähnlich flüchtige Biografie anfühlt, machte „Der Prinz und der Dybbuk“ (2017, Regie: Elwira Niewiera, Piotr Rosołowski – letzterer auch Kamera) erfahrbar, der behutsam den beeindruckenden Lebensweg des Regisseurs Michał Waszyński in einem Mosaik aus Filmausschnitten, Interviews mit Zeitzeugen, Wochenschauen, eigenen Recherchen und Archivaufnahmen nachzeichnet. Was stellenweise wie ein Mockumentary anmutet, so unglaublich erscheinen einem manche Wendungen, so wahr wie berührend war sein Schicksal. Auch sonst war die Dokumentarfilmsektion in ihrem kleinen Kino unter dem Hauptsaal ein Hort familiärer Ruhe, wann immer es einem oben zu laut und hektisch wurde. So charmant fühlte sich das ganze Festival noch vor 20 Jahren an.

Morgen geht’s weiter!

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