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Immer in 360 Grad denken

Gespräch mit Locationscout Kay Schellack

Seit mehr als 20 Jahren scoutet Kay Schellack Drehorte für den Tatort aus Bremen und den aus Hannover, für das Hamburger Großstadtrevier und für Kinofilme und TV-Events wie Neue Vahr Süd oder Die Flut. Locationscouting ist ein Basis-Gewerk, das oft nicht wirklich wahrgenommen wird. Heute für Sie aus unserer Ausgabe 3/2018, ein Gespräch über die Motivsuche im Zeitalter von Digitalisierung, Gentrifizierung und Kostendruck.

(Bild: Foto: Gunter Becker)

 

Kay, du hast dich auf Scouting in Norddeutschland spezialisiert?

Ich mache für X Filme die Bremer Tatorte, arbeite für Produktionen in Hannover, Hamburg und momentan für die Produktion “Meine teuflisch gute Freundin” der Kölner Tempest Film, für die wir viel in Ostfriesland drehen.

Du bist Locationscout und gleichzeitig Motivaufnahmeleiter. Die Personalunion hat wahrscheinlich Vorteile?

Die Doppelfunktion kommt recht häufig vor. Aber sie hat Vor- und Nachteile. Wer einen Drehort scoutet, der weiß dann als Aufnahmeleiter auch gleich, wo die Parkplätze sind, hat die Motivgeber bereits kennengelernt und weiß, wie sie ticken. Andererseits sieht die Ausstattung naturgemäß vieles anders als die Produktion. Die einen wollen ein schönes Motiv, die anderen wollen “preiswert”.

Wie oft improvisierst du Drehorte? Ich habe von einem Parkhaus gelesen, in dem eine Abflughalle improvisiert wurde, wegen der fehlenden Drehgenehmigung am Flugplatz.

So etwas würde ich zum Beispiel auf dem Bremerhavener Kreuzfahrtterminal improvisieren. Aber in 90 Prozent der Fälle bekomme ich das Original. Das hängt mit der Art meiner Aufträge zusammen. Für einen 90-Minüter drehst du auf dem Flugplatz maximal einen Tag – den bekommst du fast immer. Parkhäuser sind übrigens sehr empfindlich bei Szenen, in denen Frauen getötet oder vergewaltigt werden. Auch die Bahn mag das nicht. Das wird als imageschädigend angesehen und auch mal abgelehnt.

Wie offen kommunizierst du Motivgebern die Inhalte, die bei ihnen gedreht werden sollen?

Sehr offen. Es macht ja keinen Sinn, das zu verschweigen. Ist ja alles später im TV zu sehen. Und dann ist das Vertrauensverhältnis unter Umständen zerstört. Ganz selten wollen Motivgeber auch mal ins Drehbuch schauen, vor einer Genehmigung. Problematisch ist eher, dass zum Beispiel Unternehmen und Firmen in Krimis oft eher negativ dargestellt werden. Die erlauben zunächst den Dreh, weil sie stolz auf ihre Marke und ihre Location sind, und werden dann aber als die “Bösen” dargestellt – darüber muss man vorher reden.

Wie erleichtern mobile und digitale Tools dem Locationscout die Arbeit?

Google Earth ist ein wichtiges Arbeitsmittel geworden. Letztlich musst du aber trotzdem selbst los, mit dem Auto, mit dem Moped, um Dinge selbst direkt zu erleben. Früher hatten wir immer einen Sack Münzen dabei, um von der nächsten Telefonzelle aus alle notwendigen Anrufe hintereinander weg zu erledigen. Da ist ein Smartphone natürlich eine extreme Arbeitserleichterung.

Ausgewirkt hat sich die leichte mobile Technik eher beim Dreh, etwa von Fahraufnahmen. Heute versteckst du eine Canon MK 5 mit einer vernünftigen Optik und Light Panels am Armaturenbrett und kommst so um die Außenaufbauten am Wagen herum. Die führen nämlich dazu, dass der Wagen seine Zulassung verliert, nicht mehr auf öffentlichen Straßen bewegt werden darf und du Straßen absperren musst, um mit ihm zu arbeiten. Oder dass der Wagen auf einen Trailer muss. Insofern hat neuere Technologie auch Auswirkungen auf meine Arbeit. Andere Sachzwänge – Stromversorgung, Leitungen, Versorgungswege – bleiben.

Unterm Strich haben digitale Technologien für mich noch keine dramatischen Auswirkungen. Das sind eher Kamerathemen. Und oft auch persönliche Entscheidungen von Kameraleuten, die beim Bremer Tatort ja auch öfter mal wechseln. Ich als Motivsucher muss immer mit allem rechnen und alle technischen Szenarien mitdenken – auch die aufwändigsten. Ich tue also zunächst mal so, als ob man da alles drehen können muss – mit jeder Technik.

Wie planst du bei der Drehortsuche die Logistik der Produktion mit? Prüfst du zum Beispiel die Anschlüsse zur Autobahn, zum Bahnhof, zum Flugplatz?

Das weniger. Dafür aber durchaus: Wie sind die Brücken in der Umgebung? Tragfähig genug? Hoch genug für die Trucks? Ein Motiv im vierten Stock, ohne Fahrstuhl? Immer wieder eine logistische Herausforderung (lacht).

Kennst du die Technikliste, wenn du beginnst? Planst bei der Motivsuche den Einsatz spezieller Technik und Ausstattung mit?

Ich muss immer in “360 Grad” denken und muss davon ausgehen, dass alles mit allem bespielt werden wird. Ich habe auch wirklich schon erlebt, dass der Kameramann nachfragt, wo er seine 360-Grad-Fahrt machen kann. Da ich vorwiegend durchschnittliche TV-Produktionen betreue, gibt es viele Standards, etwa Dolly und Schienen in der Planung. Auch ähnliches Licht. Ich kann vieles aus der Erfahrung in Verbindung mit dem Drehbuch kombinieren.

Zudem gibt es ja auch meistens noch eine zweite und dritte Motiv-Option, für die Besichtigung mit Aufnahmeleitung, Producer, Regie, Kamera, Ausstattung, Szenenbild und Architekt. Davor wiederum werden mit Regie und Ausstattung Fotos gesichtet und es wird auch schon aussortiert in den Ordner “Zunächst nicht”.

Was macht ein Motiv für dich filmisch?

Bei den Räumen die Tiefe und die Blicke. Bei Gebäuden zum Beispiel die Ecken, zum Kommen und Gehen. Grafische Elemente. Sind das Räume, um ein Spiel zu inszenieren? Wie kann man sich darin bewegen?

Stichwort “verbrauchte Drehorte”. Gibt es so etwas für dich? Oder findest du an häufig genutzten Plätzen trotzdem noch neue und ungewöhnliche Ansichten?

Problematisch finde ich eher, dass im Zuge des Umbaus der Innenstädte viele ältere Gebäude verschwinden, Brachen bebaut werden, Industriereviere abgerissen und neu bebaut werden. Das “Großstadtrevier” haben wir jahrelang in einem Vorhaltegebäude einer großen Hamburger Firma gedreht. Das wurde dann abgerissen. Solche Plätze verschwinden zunehmend. Der Freihafen, die Speicherstadt sind weitere Beispiele. Selbst bei der Drehortsuche kommst du an viele Plätze gar nicht mehr ran: “Halt! Schranke! Wachschutz!”. Selbst fürs Scouting brauchen wir dann Hausausweise.

Verliebst du dich manchmal in Locations und kämpfst um sie, auch gegen die Produktion?

(Lange Pause) Ja klar. Ich vergucke mich schon mal in ein Motiv. Das kommt vor. Aber im Grunde sehe ich das sportlich. Die Location muss später ja nicht in meinen Augen funktionieren, sondern in den Augen der Regie, der Kamera, der Ausstattung, des Drehbuchs. Letzten Endes sehe ich mich als Dienstleister. Ich habe ja nur das Fenster gefunden, vor das die Ausstattung dann eine andere Gardine hängt, den Raum, den der Kameramann erst visualisiert. Aber in 90 Prozent werden meine Motive genommen.

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. …und für sowas müssen wir TV-Endverbraucher die elende Zwangsabgabe zahlen! Aber ich weiß: Es gibt viel schlimmere Sünden beim Geld-aus-dem-Fenster-Werfen des kleinen, wehrlosen Fernsehzuschauers. Ich bin ja schon froh, dass ich nicht diese kommerziellen Werbesender sehen muss, die ihre Werbe alle 15 Minuten für blödsinnige Actionfilme unterbrechen, die sie billig eingekauft haben …

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    1. Was genau meinen Sie mit “sowas”?

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      1. Der will einfach nur Hetzen und Unfrieden verbreiten. Bestimmt ein besorgter Bürger. Vielleicht kann er sich aber auch nicht in eine Berufstätigkeit reindenken oder dafür Intersse aufbringen. Anders kann ich mir seinen feindseligen Kommentar nicht erklären. Ich selbst verzichte auf Fernsehen aus den Gründen, die Karl Küster nennt und schaue gekaufte Filme oder Stream auf Amazon. Eine elende Zwangsabgabe sehe ich aber nicht. Radio und Fernsehen sind an sich ja sinnvoll. Langfristig wird der Rundfunk auf Verkehrsfunk und andere Grundversorgung reduziert, vermute ich. Locationscouts wird es aber trotzdem weiter geben.

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