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Der Filmemacher Claus Biegert im Interview

Filmen ist wie ein Fluss

Claus Biegert hat im Zusammenhang mit seinem Engagement für den Widerstand indigener Völker etliche Filme gedreht. Seine jüngste Produktion jedoch handelt von dem Astrophysiker Hans-Peter Dürr. Gerdt Rohrbach traf sich mit dem Journalisten und Autor im Augustinerkeller im Herzen von München, um für unsere Ausgabe 3.2023 zu erkunden, was seine Filme miteinander verbindet.

Porträt von Claus Biegert
Foto: Gerdt Rohrbach

Sie haben viel mit Menschen aus indigenen Völkern gedreht. Wie haben Sie es geschafft, authentische Geschichten und Bilder zu bekommen?
Ich bin immer wieder gekommen, weggegangen, wieder zurückgekommen. Dabei habe ich ihnen gezeigt, was ich gemacht habe. Ich denke, das ist das ganze Geheimnis: Zeigen, was man tut und sich auch selbst wieder zeigen. Dabei muss man sich auch angreifbar machen. Als ich meinen Film über Onondaga fast fertig hatte, habe ich vor Ort eine Vorführung angesetzt mit Clan-Müttern und Häuptlingen. Es kam an vielen Stellen Kritik, die ich dann beachtet habe. Da ich Schrifttafeln im Film habe, äußerte ich den Wunsch, dass jemand mit einer guten Stimme den Text liest. Sie meinten daraufhin: „It’s your film. You speak!“ Ähnliches habe ich immer wieder gehört. Wenn ich ein großes Rundfunkfeature gemacht habe, sagte mein Redakteur immer: Du erzählst in Ich-form, damit wird die Sache glaubhaft. Das Echo der Hörerschaft hat das stets bestätigt. Der Autor muss in Erscheinung treten, das wurde für mich zur Regel. Ich verstecke mich in meinen Filmen nicht – so habe ich es auch in meinem Werk über Hans- Peter Dürr gehalten.

Sie sind ja darin ein ganz maßgeblicher Teil des roten Fadens. Sie moderieren und kommentieren nicht nur, Sie treten auch in Erscheinung. Es spielt auch noch ein roter Wollfaden eine Rolle, wenn sie ihn von einem Knäuel abwickeln, um damit die wichtigen Stationen auf der Weltkarte miteinander zu verbinden.
Es ist eben jener rote Faden, der auch in dem Super-8-Familienfilm der Dürrs vorkommt, den ich eingebaut habe. Das wusste ich bis vor kurz vor dem Dreh gar nicht. Ich sagte zu Sue Dürr: „Wir brauchen da noch einen roten Faden.“ Sie: „Okay, da kümmere ich mich drum.“ Sie wusste aber nicht, was ich mit dem roten Faden machen würde. Klar war dem Team und mir: Das ganze Gespräch mit Sue kann man nicht proben. Entweder es klappt beim ersten Mal, oder es klappt nicht.

Mich beeindruckt das glaubhafte Erschrecken von Frau Dürr angesichts des Hakenkreuzes. Ist das auch in der ersten Aufnahme so gelungen?
Das mit dem Hakenkreuz wussten vorher nur mein Editor Mike und ich. Auch die Kameraleute hatten keine Ahnung, was ich genau vorhatte.

Sie verwenden keine digitalen Visualisierungen. In dem Fall des Hakenkreuzes wird dieses aus Backpapier ausgeschnitten. Nun hätten Sie ja dieses auch vorbereitet aus der Tasche ziehen können oder nur im Kommentar den Satz sagen können: Ein Unheil legt sich über Europa. Sie schneiden das Ding aber auch noch vor der Kamera erst aus. Warum das?

Die Idee kam mit dem Intro. Dort werden ja auch alle möglichen Elemente aus Landkarten „ausgeschnitten“.
Mike wäre es ein Leichtes gewesen, ein Hakenkreuz durch das Bild schimmern zu lassen  Das Intro hat neben den verschiedenen Statements über Hans-Peter Dürr auch gerade die Vorbereitung der Visualisierungen zum Inhalt. Dort werden zum Beispiel die Buttons mit den Fotos der Akteure ausgeschnitten und auf Holzscheiben geklebt. Mein Editor Mike Förster ist sehr talentiert in der Herstellung von Animationen. Ihm ist es zu verdanken, dass die Köpfe im Intro aus dem All sprechen. Er hat mich bei den Vorbereitungen gesehen und sagte: „Das brauchen wir alles.“ So ist die Schere ein Werkzeug des Films geworden.

Drei Filmstills aus „Vom Sinn des Ganzen“
„Vom Sinn des Ganzen“: Bastelarbeit statt Animationen (Fotos: Claus Biegert / Absolut Medien

Ich bewundere in Ihrem Film auch die selbstgemachte Landkarte, die Sie anfangs auf- und gegen Schluss zusammenklappen. Sie bildet eine visuelle Klammer um die Geschichte Ihres Films. Bis auf den Anfang haben Sie ja Animationen vermieden.
Animationen können leicht die Erzählung stören, daher habe ich auch den Zeichner Bernd Wiedemann mit ins Team geholt. Auch mit der Musik war ich sehr wählerisch. Mit dem Komponisten und Percussionisten Zoro Babel wollte ich immer schon einmal zusammenarbeiten. Ich vertraue ihm voll. Ich bin sehr glücklich mit dem Resultat.

Die Musik bleibt ja eher im Hintergrund, sie ist dezent.
Aber sie zeigt sich als eigenständiges Element. Zoro sagte: „Es wird Szenen geben, in denen der Zuschauer gewaltige Musik erwartet. Die will ich da nicht liefern.“ Und dann gibt es Szenen, die keine Musik brauchen, aber da könnte die Musik trotzdem akzentuiert daneben stehen.

In diesem Film gibt es unterschiedliche Einbindungsweisen des Archiv-Materials: Da sind zum einen Interviews, die mit einer Digitalkamera gedreht wurden. Zu Beginn sind aber historische Aufnahmen im 4:3-Format zu sehen. Diese wurden etwas verkleinert, dass noch ein schwarzer Rahmen um sie herum zu sehen ist. Warum das?
Wir müssen dem Publikum deutlich machen, was vorher war und was jetzt erst geschaffen wurde. Das alte Material ist ja auch technisch nicht so gut.

Der Film hat ja jetzt mit 103 Minuten Kinolänge. War das von Anfang an geplant?
Nein, ich wollte einen kleinen Film für die Familie Dürr machen. Das sprach sich herum: „Claus Biegert macht einen Film über Hans-Peter Dürr.“ Daraufhin meldete sich das Max-Planck-Institut und bot Material an. So bekam ich unaufgefordert deren ganzes Fotomaterial. Wunderbares Fotomaterial mit Werner Heisenberg! Der Film ist gewachsen und gewachsen und schließlich kam die Premiere beim International Uranium Festival in Berlin. Dort erhielt der Film eine „honorable mention“. Dann lief er in Rio, das International Uranium Filmfestival hat dort seinen Sitz. Weitere Festivals sind auf dem Cover aufgeführt.

Aufbau und Struktur, die ganze Machart scheinen mir aufs Engste mit dem zu korrespondieren, was sie zeigen, unter anderem auch das Dürr‘sche Chaos-Pendel. Lief die Produktion ähnlich ab? Das Buch schreibt sich ja auch während des Produktionsprozesses fort.
Wir hatten kein Buch. Es war eher ein Gemälde, eine Collage, in der sich die Dinge bewegten und von Mal zu Mal neu Gestalt annahmen, um dann wieder ihre Gestalt zu verändern. Dabei hat sich das Ganze immer mehr verdichtet. Filmen ist ein fließender Prozess, bei dem man sensibel und flexibel sein muss – und achtsam! Das ist für jemand, der mit mir arbeitet, manchmal durchaus schwierig. Bei dem Film über Winona LaDuke wurde die Geduld von Bertram Verhaag – er war Co-Regisseur und Produzent – stark strapaziert. Ich habe mich immer den Gegebenheiten angepasst, ohne Druck auf meine Umgebung auszuüben. [15305]


 

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