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Kooperation in Babelsberg

Nachwuchsqualifizierung für virtuelle Sets

Virtuelle Sets liegen im Trend und Deutschland hat sich in diesem bereich eine Spitzenposition erarbeitet. Doch um die neuen Studios betreiben zu können, braucht es qualifiziertes Personal. Hier setzt eine Kooperation der Filmuniversität Babelsberg mit der Hochschule der Medien Stuttgart und der HALOSTAGE | ICT AG an.

Die Halostage in Babelsberg
Foto: Antje Benke-Köhler / Filmuniversität

Sechs Meter hoch ragen die im Halbkreis aufgestellten LED-Wände. Hell erstrahlt dort die Skyline einer Stadt, wirft ihr Licht auf das minimalistische Set im Zentrum und erzeugt dabei unzählige Reflektionen auf Wänden und Mobiliar eines futuristisch anmutenden Hotelzimmers. Gedreht wird hier gerade ein Kammerspiel über einen von mysteriösen Tagträumen geplagten Geschäftsmann. Ein gigantischer Turm scheint sich vom Rande der Skyline langsam auf ihn zuzubewegen. Statt Fenster zieren diffus leuchtende Löcher seine Fassade, eines davon wie für ihn gemacht.

Eigentlich war das Stück als einfache studentische Kunstlichtübung angelegt, ein studiengangsübergreifendes Pflichtmodul an der Filmuniversität. Doch dann kam das Angebot der HALOSTAGE | ICT AG, das im Juni in Babelsberg eröffnete Virtual Production Studio für Experimente mit der neuen Produktionsform für eine Woche nutzen zu dürfen – nicht ganz uneigennützig, wie Frank Govaere, Team Manager Virtual Film Production bei der ICT erläutert: „Der Bedarf an Drehs wächst und wir sehen schon jetzt, dass es Probleme geben wird, die wachsende Zahl solcher Studios zu betreiben. Wir brauchen den Nachwuchs und wollen ihn hier gleich am Standort mit der neuen Technik vertraut machen.“

Diese basiert auf der Kombination von großformatigen LED-Displays mit Realtime Grafik Engines wie etwa der Unreal Engine von Epic Games. Hochqualitative Computer-Grafiken werden während des Drehs auf die riesigen Screens gelegt, nicht jedoch als bereits vorgedrehter Filmausschnitt wie bei einer klassischen Rückprojektion, sondern in Echtzeit gerendert. Jedes vorstellbare Setting, jede Landschaft, ob real existierend, historisch oder der Fantasie entspringend, kann in einem Studio nicht nur entstehen, sondern eben auch variiert werden. Ergänzt wird die digitale Szenografie um Elemente aus dem Kulissenbau, die auf einem Podest inszeniert sind, um den LED-Screen dahinter optimal ins Bild zu integrieren.

In der Halostage werden Scheinwerfer montiert
Foto: Antje Benke-Köhler / Filmuniversität

Zwei Monate Planung

Die Studierenden zeigten sich begeistert von den Möglichkeiten. Branford Meentzen – Ideengeber des Films „Der Turm“ und verantwortlich für das Szenenbild – zeigt sich begeistert von der natürlichen Lichtstimmung und hat daher besonders mit reflektierenden Materialien am Set experimentiert. Obendrein könne die Lichtquelle bei Bedarf unmittelbar angepasst werden, wenn etwa die Sonneneinstrahlung doch ein paar Meter von weiter rechts kommen soll, ergänzt Kamera-Student Konrad Waldmann. Dies alles ermögliche eine größere Authentizität als mit digitaler Nachbearbeitung. Auch budgetär ist die Produktionsweise interessant, ebenso in Fragen der Nachhaltigkeit und des CO2-Fußabdrucks von Filmproduktionen.

Den wohl größten Paradigmenwechsel bedeutet das virtuelle Produzieren allerdings für den Workflow, vor allem den künstlerischen Prozess. Arbeiten bei einer traditionellen Produktion die entscheidenden Gewerke oft dezentral und in nicht selten langfristiger zeitlicher Abfolge, so können Regie, Kamera, Setdesign und VFX Entscheidungen nun gemeinsam treffen und kreative Visionen unmittelbar umsetzen. Während ganze Postproduktionsschritte entfallen, wird dafür die Vorbereitung aufwendiger. Ganze zwei Monate hatten die Studierenden Zeit, ihr Projekt auf das neue Produktionsformat hin zu planen. Sie haben das gesamte Set vorab in der Unreal Engine simuliert, um die perfekte Positionierung der analogen Szenografie zum Screen zu finden, bis hin zur Lichtsetzung und voraussichtlichen Spill-Effekten vom Screen auf das Set.


Das Erich Pommer Institut bietet unterstützt von Filmuniversität, Netflix und ZDF vom 14. bis 18.03.2022 zum ersten Mal das „Virtual Production Lab“ an. Bewerbungen sind hier bis zum 31.01.2022  möglich!


Das virtuelle Set wurde mit UNREAL Engine 4 entwickelt und über mehrere Rechner mit nvidia RTX3090 Grafikkarten mit dem nDisplay System für den LED-Screen gerendert. Beim Dreh kam eine Sony VENICE zum Einsatz, die mit der LED-Leinwand per Genlock synchronisiert wurde. Für die Verbindung zwischen der Kamera und der Unreal Engine sorgt das Inside-out Tracking-System ncam. Es wurde gewählt, weil die Kamera sich innerhalb der Wände des Sets bewegen muss und so das Sichtfeld auf ein ebenfalls verfügbares Outside-in System nicht frei war. Das Highlight beim Dreh war ein „Vertigo-Shot“, bei dem das direkte perspektivische Zusammenspiel zwischen Kamerabewegung und virtuellem Hintergrund eindrucksvoll demonstriert wird.

Erfahrung sammeln

Planung und Umsetzung des Drehs erfolgte im Rahmen einer gemeinsamen Lehrveranstaltung der Filmuniversität mit der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM). „Die Stärken der beiden Hochschulen ergänzen sich in diesem Themenfeld hervorragend“, so die beiden Initiatoren Prof. Björn Stockleben (Emerging Media Production, Filmuniversität) und Prof. Jan Adamczyk (VFX, HdM). „Nicht zuletzt sammeln die Studierenden so Erfahrungen für die Online-Zusammenarbeit in komplexen digitalen Filmprojekten“.

Ziel war jedoch nicht allein, frühzeitig künstlerische und technologische Exzellenz in den filmischen Gewerken mit Kompetenzen im Umgang mit Realtime-Engines zu verbinden, sondern auch praxisorientiert zu forschen, um auf die rasante Entwicklung der Virtual Production Workflows und Technologien proaktiv reagieren zu können. So steht die Unreal Engine 5 bereits in den Startlöchern. ICT arbeitet bereits an neuen verbesserten Screens aus einem fließenden und biegbaren Material für nahtlose Übergänge zu Boden und Decke, das auch Verbesserungen in der Farbdarstellung garantieren soll. Noch sind einer maximalen Flexibilität Grenzen durch Darstellungsunterschiede gesetzt, die LED-Wände unterschiedlicher Produktionsserien aufweisen können. Momentan umfasst ein Batch 1.000 Quadratmeter. In diesem Rahmen kann die Form der Wände variiert und die Höhe auf bis auf 8 Meter vergrößert werden. []

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