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Jurywoche beim 33. Deutschen Kamerapreis (1)

Tendenz zum Mut

Anfang Februar fand beim BR in München die Jurywoche für den 33. Deutschen Kamerapreis statt, nach zwei Jahren Online-Format erstmals wieder in Präsenz. Für Film & TV Kamera war Chefredakteur Uwe Agnes in der Jury für Doku Screen dabei. Er sprach für unser Heft 4.2023 mit dem Jurypräsidenten Jo Baier. Am Dienstag können Sie hier das Gespräch mit dem Kuratoriumsvorsitzenden Matthias Haedecke lesen.

Am Set des Interviews mit Jo Baier
Foto: BR

Hast du dir als Jurypräsident in den letzten Tagen schon einen schon Überblick über die Einreichungen beim 33. Deutschen Kamerapreis verschaffen können?
Ich habe ich wahnsinnig darüber gefreut dabeizusein, weil es eine sehr schöne Aufgabe ist, so viele Filme anzuschauen, praktisch fast eine Jahresproduktion in Deutschland. Ich bin ja auch in einer Jury, der für Fiction Kino, und wir haben dort schon einige Filme auch mit großer Freude und großem Vergnügen angeschaut. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele gute und unterschiedliche Kameraleute Deutschland zur Verfügung hat. Es ist schon eine Freude, das zu sehen. Es gibt natürlich alte Hasen, wo man weiß, was da auf einen zukommt, aber es gibt auch viele junge Kameraleute, die eindeutig Talent haben, worüber man sich natürlich sehr freut. Im wirklichen Wortsinn schlechte Arbeit haben wir nicht gesehen. Es gibt halt solides Handwerk und es gibt herausragende Kameraleute, mehr, als wir eigentlich aus­ zeichnen dürfen.

Wir versuchen immer am Ende des Tages Filme anzusehen, die uns beglückt heimschicken. Das kann man sich manch­ mal nicht aussuchen, aber man ahnt es ja schon, was einen interessiert und wo man Sachen entdecken könnte, die in­novativ sind und die auch mutig sind. Es wird ja zum Teil inzwischen inte­ressanterweise auch wieder mehr im 4:3­-Format gedreht. Das ist uns sehr aufgefallen. Das Format wird aber auch wirklich mit Sinn erfüllt, es ist nicht nur ein Gag, sondern dieses Format wird auch wirklich ausge­nutzt. Es ist interessant, dass man da wieder experimentiert. Es gibt auch einige wenige Schwarz­Weiß­Filme. Also es macht großes Vergnügen und großen Spaß, sich da einen Überblick darüber zu verschaffen, was auf einen zukommt, was vielleicht auch nicht immer den Weg ins Kino findet, aber sicherlich zum Fernsehen. Ich mache das sehr gerne und es bringt mir große Freude.

Gibt es neben dem 4:3-Format weitere Trends, die ihr in eurer Jury beobachten konntet?
Das ist schwer zu sagen. Es gibt viel Steadicam und Gimbal, also bewegte Kamera. Es gibt mutige Kameraleute, die sich sehr mit Farbdramatur­gie beschäftigen, also etwas, was schon über das normale Fernsehformat hinausgeht. Auch auch bei Bildausschnitten und bei Cadragen gibt es viel Neues und viel Interessantes. Es gibt daneben natürlich auch solides Handwerk. Mich freut besonders, wenn ein und derselbe Kameramann zwei Filme dreht, die verschiedene Milieus haben, völlig unter­ schiedlich gedreht sind, also wo man merkt, dahinter ist wirklich ein großes Talent. Weitere Tendenzen darüber hi­ naus wüsste ich jetzt nicht. Ich freue mich über teilweise sehr mutig gemachte Filme, also auch, dass jemand etwas riskiert mit der Kamera, vielleicht auch Scheitern riskiert, aber es ist erfreulich, innovativ und neu.

Filmstill von Jo Baier
Jo Baier (Foto: BR)

Bei uns in der Jury für Doku Screen haben wir erstaunlich oft Beiträge in 1:2,39 gesehen.
Das ist beim Kino eher selbstverständlich als bei einer Doku. Ein Film wie „Corsage“ zum Beispiel braucht natürlich ein ganz breites Bild, denn da geht es ja um Opulenz, also da bedient das Format natürlich auch, was gefordert ist. Mir gefällt es sehr, wenn man merkt, die Kamera entspricht dem Film, vielleicht mit scheinbar kleineren Bildern, wo es auch um Intimität geht, das ist ja immer etwas eigenes oder hat Fantasie. Es gibt einen Film – ich will jetzt keine Namen nennen, weil das immer schwierig ist – wo einem richtig auffällt, dass die Kamera unglaubliche Fantasie entwickelt, auch in den Farben also sehr riskant, sehr mutig ist. Das war sehr erfreulich, muss ich sagen.

Wie würdest du generell das Niveau der Produktion beurteilen, die hier beim Deutschen Kamerapreis eingereicht werden?
Also das ist erfreulich hoch, das finde ich richtig gut! Das macht natürlich die Juryarbeit umso schwerer, denn wenn wir jetzt ganz wenig auszuwählen hätten, wäre es für die Jury einfacher zu sagen „Wir einigen uns jetzt auf diesen oder jenen“, aber ich habe schon gemerkt, dass wir schon einige haben und uns da schon mal zusammenraufen müssen – also „raufen“ jetzt im übertragenen Sinn, wir verstehen uns sehr gut und ich glaube, wir können uns da auch sehr gut eini­gen – aber es gibt zumindest mehr Gutes als ich erhofft hat­ te, mehr, wo man sagt „Das müsste eigentlich eine Auszeich­nung bekommen“, oder es ist zumindest einer ja herausra­gend. Das ist schon etwas, das auffällt, darum meine ich, wir haben sehr gute Kameraleute.

In der Jury für Doku Screen gab es fast mehr Einreichungen für Schnitt als für Kamera und bei den Schnitt-Einreichungen gab es ein enormes Spektrum, das von komplexen Montagen in mehreren Bild- und Tonebenen bis zu Found Footage reichte.
Bei uns gab es gar nicht so viele Filme, wo man sagen wür­ de, das ist jetzt eindeutig ein Schnittpreis. Das ist für mich immer eine Frage der Musikalität und ich bin da auch so geprägt, dass wenn ein Schnitt elegant ist und wenn man merkt, das ist gar nicht so einfach gedreht und deshalb nicht so einfach, das zu schneiden, weil viel Bewegung herrscht und auch wenig in Einzeleinstellungen kadriert ist, dann finde ich es toll, wenn der Schnitt trotzdem einen flie­ßenden musikalischen Sog entwickelt.

Plakat des 33. Deutschen Kamerapreises

Wenn wir noch einmal auf die Kamera zurückkommen: Von wem kommen die Filme, die euch, wie du sagtest, „beglückt“ haben? Waren das Namen, die schon öfter auf der Liste standen oder sind da auch Nachwuchsleute am Werk?
Die etablierten Kameraleute kennt man ja, es gibt darunter auch welche, mit denen ich schon mehrfach zusammengearbeitet ha­be. Klar, das sind nach wie vor tolle Kameraleute, da hat sich nichts ge­ändert. Aber ich finde schon auch, dass junge Talente nachkommen. „Jung“ ist da natürlich relativ, aber wenn die Leute so knapp um die 40 Jahre alt sind, denke ich, ist es für eine ausgewachsene Spielfilm­-Ka­merafrau oder einen Spielfilm­-Kame­ramann schon eher jung. Da gibt es wirklich beeindruckende Talente und davon bin ich auch immer begeistert. Ich finde überhaupt auch, dass man mit den digitalen Kameras mittler­weile so perfekt und elegant sowie auch im Kinoformat so wunderbar umgehen kann! Das ist für mich schon eine Klasse für sich. Ich komme ja noch vom Film, 16 und 35 Millimeter und das war am Anfang für alle ein bisschen ungewohnt, sich auf die digitalen Kameras einzustellen. Aber mittlerweile finde ich, ist das perfekt. Ich habe heute Filme gesehen, in denen es auch im dunklen Bereich wirklich grandios schöne Sachen gibt, wo ich ganz begeistert davor sitze und sage „Wunder­bar, freut uns total!“

Hat deiner Einschätzung nach die Technik dazu beigetragen, die Schwelle zu senken, um gestalterisch tätig zu werden?
Ich glaube die Technik hat dazu beigetragen, mutiger zu werden. Ich finde es eine schöne Entwicklung, riskanter im Hellen wie im Dunkeln zu arbeiten. Mein großer Kamera­-Lehrmeister war ja Gernot Roll, der war auch schon immer sehr riskant: „Das ist mir wurscht, man muss es glauben, es muss stimmen, es muss ausfressen, das muss ganz hell sein!“ Da waren wir schon auch mutig. Aber er war übri­gens auch einer der Ersten, der gesagt hat „Ich drehe nur noch Digital – Film ist passé! Da kann man so viel machen. Ich kann schon beim Drehen so viel einstellen, habe dann schon ich ein ein perfektes Bild und beim Color Grading gibt es nur noch Kleinigkeiten zu machen.“

Nur mal aus Interesse: Gab es in eurer Kategorie Filme, die tatsächlich auf Film gedreht wurden?
Ich überlege gerade, glaube aber nicht. Nein. Selbst bei den Filmen nicht, bei denen ich gesagt habe, das sieht schon fast wie Tarkowski aus – und das ist für mich immer die höchste Auszeichnung, wo vor allem ein Film auch mit Bildern erzählt. Das mag ich ja sehr: wenn es nur ganz wenige Dialoge gibt und ein Film über Bilder erzählt wird. Das ist beeindruckend. Da kann ich nur in Bewunderung erstarren! [15315]


Lesen Sie am Dienstag das Interview zur Jurywoche mit dem Kuratoriumsvorsitzenden Matthias Haedecke!


 

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