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Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (8)

Mit freier Hand schneiden

In unserer Reihe mit den Gewinnern beim 31. Deutschen Kamerapreis bleiben wir im Schneideraum: Xenja Kupin und Michael Auer bekamen den Preis für den besten Schnitt bei einer Dokumentation.

Xenja Kupin und Michael Auer

Michael Auer, 1963 in München geboren und Xenja Kupin, die 1982 in Odessa zur Welt kam, haben beide ihren Lebensmittelpunkt in München. Dort ist Michael Auer, der früher auch als Kameramann wirkte, nach langer freiberuflicher Tätigkeit inzwischen als Editor beim Bayerischen Rundfunk tätig. Sein Fokus liegt dabei auf Dokumentationen und Reportagen. Zu den preisgekrönten Werken, bei denen er den Schnitt übernahm, gehören unter anderem die ARD-Dokumentation „Festung Berlin – Der Untergang der Reichshauptstadt“, die 1995 mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, oder auch die SWR-Dokumentation „Deutsche Lebensläufe – Fritz Lang“, die 2007 den Grimme-Preis erhielt.

Xenja Kupin, die bis 2020 beim Bayerischen Rundfunk tätig war, arbeitet heute als freiberufliche Dokumentarfilmeditorin. Sie war unter anderem verantwortlich für die Montage der BR-Dokumentation „Schwermut und Leichtigkeit. Dietls Reisen“, die 2017 den Bayerischen Fernsehpreis erhielt. Außerdem übernahm sie den Schnitt für die ARD-Dokumentation „Todeszug in die Freiheit“ und die arte-Reportage „Die Bettler aus der Walachei“, die beide mehrfach preisgekrönt sind.

Wenn ihr auf die Monate seit dem 31. Deutschen Kamerapreis zurückblickt – wie hat sich der Preis für den besten Schnitt bei einer Dokumentation ausgewirkt?
Xenja Kupin: Für mich kam der Preis zu einem sehr guten Zeitpunkt, nämlich als ich den BR verlassen habe und in die Selbstständigkeit gegangen bin. Es ist zwar nicht so, dass aufgrund des Deutschen Kamerapreises das Telefon Sturm klingelt und man sich vor Aufträgen nicht mehr retten kann. Aber es ist doch schon wie ein Zeugnis – wenn man irgendwo anklopft und dich niemand kennt, ist das ein Gütesiegel. Es gibt zwar für den Editorenberuf Studium und Ausbildungen, aber letztlich kann sich jeder Editor nennen, der will. Da ist diese Auszeichnung schon ein Qualitätsmerkmal, das man gern in seinen Lebenslauf schreibt. Ich habe auch gemerkt, wenn ich Initiativbewerbungen geschrieben habe, dass einen die Firma zurückruft und dabei auch Aufträge entstehen. Das war ein schönes Gefühl, vor allem am Anfang der Selbstständigkeit.
Michael Auer: Ich habe das tatsächlich erst gar nicht geglaubt, denn es ist schon ein Preis, den sich jeder für seine Arbeit wünscht und eine bessere Auszeichnung gibt es für Cutter, denke ich, im deutschsprachigen Raum, ja eigentlich auch gar nicht. Bei mir war das übrigens ziemlich schräg, wie ich’s erfahren habe, mich rief damals dauernd eine unbekannte Nummer an. Zu der Zeit bin ich aber nicht an Nummern, die ich nicht kannte, gegangen, weil ich gerade meinen Telefonvertrag gekündigt hatte und dachte, das könnte der Provider sein, der mich überreden will zu bleiben. Irgendwann meldete sich Xenja und fragte „Ruft dich eigentlich in letzter Zeit irgendjemand dauernd an? Dann geh mal dran!“ Mehr hat sie aber nicht verraten, allerdings rief diese Nummer dann nicht mehr an, deshalb habe ich zurückgerufen und hörte „Guten Tag, Deutscher Kamerapreis!“ – so habe ich‘s dann erfahren. Für meine Karriere war es allerdings nicht so ausschlaggebend, weil ich ja zu 70 Prozent beim BR angestellt bin und dort in einem festen DokTeam arbeite. Aber es spricht sich schon herum und es ist natürlich ein cooles Gefühl, wenn man das in seine Vita schreiben kann.

Wie ist es dazu gekommen, dass ihr euch den Schnitt bei „Der Fall Wirecard“ geteilt habt und wie hat eure Arbeitsteilung im Einzelnen funktioniert?
Michael Auer: Ich sollte den Film schneiden und dann kam im Herbst ziemlich heftig Corona! Da hat die Redaktion beschlossen, dass es zu riskant ist, wenn den Film nur ein Editor schneidet, denn wenn der ausfällt, wird der Film nicht gesendet. Es gab diesen festen Sendetermin in der ARD, den 7. Dezember, der Film musste fertig werden und wir hatten nicht viel Zeit. Xenja und ich hatten ja schon vorher im Dok- Team zusammengearbeitet, deshalb wurde entschieden, dass wir beide den Film gemeinsam schneiden. Ich fand das super, weil wir uns lange kennen und ergänzen, denn wenn du mit einem Editor schneidest, der nicht so arbeitet wie du, dann wird es schwierig. Aber durch DokTeam kannten wir uns ja sehr gut, sind auch privat be- freundet und insofern war das überhaupt kein Problem. Es hat glaube ich auch dazu geführt, dass der Film am Ende so geworden ist, wie er geworden ist. Wir haben uns tatsächlich während des Schnitts nie persönlich gesehen, weil wir wegen Corona in zwei Bubbles waren und haben nur über Telefon kommuniziert, obwohl wir beide im Sender waren. Jeder hat seinen Part geschnitten, der eine ist über den Part vom anderen gegangen und umgekehrt. Das hat super funktioniert.

Filmstill aus "Der Wirecard-Skandal"

Filmstill aus "Der Wirecard-Skandal"
Komplexes Thema, erzählt ohne Kommentartext: „Der Fall Wirecard“ (Fotos: ARD)

Xenja Kupin: Film ist immer Teamarbeit und davon bin ich ein großer Fan! Dieses Team, das wir etablieren konnten, hat super funktioniert, auch mit der Kamera und den Autoren. Wir haben natürlich auch Unterschiede, die man gut ko mbinieren kann, wenn man sich kennt und dann spielen Eitelkeiten auch keine Rolle mehr. Das ist so ähnlich wie eine Beziehung zwischen Vater und Mutter zu ihrem Kind: Da vertraut man auch dem anderen, dass er schon das Beste daraus machen wird und so war es auch beim Schnitt. Da fragst du nicht ständig nach dem Grund, warum jemand etwas geändert hat. Konkret haben wir uns aber immer abgesprochen. Wir haben uns auf der Timeline in verschiedenen Farben Marker gesetzt für Inhalt und Schnitt. Die Autoren haben uns inhaltlich geführt, uns aber beim Schnitt komplett freie Hand gelassen und das war echt toll. Diese Teamarbeit im Schnitt ist bei uns etwas Seltenes und ich würde mir wünschen, dass mehr Projekte so laufen.
Michael Auer: Das funktioniert aber tatsächlich nur, wenn man so harmoniert wie wir. Ich habe schon mit anderen Editoren geschnitten und da ist – das klingt jetzt marginal und ist vielleicht überspitzt formuliert – schon die Spurenbelegung komplett anders und dann verbringst du einige Zeit damit, das so hinzubiegen, dass es mit deiner Art zu schneiden und deinem Stil zusammenpasst! Ich finde, das ist tatsächlich nicht unerheblich, wenn der kreative Prozess im Vordergrund stehen soll. Denn damit will ich ja hauptsächlich meine Zeit verbringen, alles Technische ist für mich eigentlich Nebensache. Deshalb war diese Konstellation von Vorteil, ich konnte mich hauptsächlich auf das Kreative konzentrieren. Die Herausforderung des Films, mit diesem sehr komplexen Thema, war ja, dass er ohne Kommentartext funktionieren sollte, was wir, auch mit den Autoren, intensiv besprochen haben. Kein einfaches Unterfangen und klar, wir haben diskutiert, aber es war immer konstruktiv und nie so, dass wir uns genervt haben oder unnötig Zeit verloren gegangen ist.
Xenja Kupin: Das war aber nur möglich, weil wir einen sicheren Hafen hatten und sowohl mit der Redaktion als auch mit den Autoren auf Augenhöhe waren. Da gab es kei-ne Kompetenzschwierigkeiten und wir haben uns sehr wohl gefühlt, im Schnitt völlig freie Hand zu haben.

„Wir haben dieselbe Spurbelegung“ als neue Definition von Vertrautheit finde ich sehr schön! Ihr habt schon erwähnt, dass „Der Fall Wirecard“ ein Film ist, der ohne Kommentartext auskommt und das ist, wie wir alle wissen, hohe Kunst. Wie habt ihr das in Angriff genommen?
Michael Auer: Wir haben uns tatsächlich ein Zeitlimit gesetzt. Philipp Grüll, einer der Autoren, wollte das unbe- dingt versuchen und falls es dann doch nicht klappen sollte, müssten wir halt schauen, dass wir es in unserem Zeitrah- men hinbekommen, den Film noch mit einem Kommentar zu versehen. Wir haben uns also eine Woche Zeit gegeben und versucht, so zu schneiden, dass wir die Inhalte kapieren. Nach einer Woche, daran kann ich mich erinnern, haben wir gemerkt: Das klappt ganz gut! Es war natürlich noch keine Garantie, dass es für alle Teile passt, aber es hat so gut angefangen, dass sich irgendwann gar nicht mehr die Frage gestellt hat, ob es wirklich funktionieren kann oder nicht. [15063]

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