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Wir stellen die Preisträger des 30. Deutschen Kamerapreises vor (2)

Der Wille, einen draufzusetzen

Unsere Serie mit den Preisträgerinnen und Preisträgern beim 30. Deutschen Kamerapreis geht weiter! In unserem Heft 9.2020 sprachen wir sprachen mit Florian Emmerich über seine Auszeichnung für die Beste Kamera im Fernsehfilm / Serie für „Tatort – Unklare Lage“.

Für Regisseurin Pia Strietmann und DoP Florian Emmerich war die Bewegung der Kamera das wichtigste Element der Bildgestaltung. (Bild: Marco Nagel)

Florian Emmerich ist 1973 geboren, studierte an der heutigen Filmuniversität Konrad Wolf und arbeitete als Steadicam-Operator an vielen in Babelsberg umgesetzten Produktionen mit, darunter „Cloud Atlas“ und „Mission Impossible – Ghost Protocol“. Für DoP Florian Ballhaus war er Camera Operator beim Drama „Der Hauptmann“. Seine Projekte als DoP umfassen drei „Ostwind“-Filme und das Drama „Und morgen Mittag bin ich tot“. Er wurde beim 30. Deutschen Kamerapreis in der Kategorie „Beste Kamera“ in einem Fernsehfilm / Serie für „Tatort – Unklare Lage“ ausgezeichnet.

Was bedeutet der Preis für „Unklare Lage“ für dich?
Generell bedeutet der Preis für mich sehr viel, weil das ein Gremium ist, eine Jury, die ausschließlich lichtsetzende Kameraleute beurteilt. Ich finde es schön, aus den eigenen Kreisen diese Anerkennung zu bekommen. Speziell für diese Arbeit: Wir hatten eine extrem intensive Vorbereitungszeit, auch über das Normale hinaus gehend, damit wir während des Drehs diese erzählerische Dichte herstellen können. Das geschah in einer ganz engen Zusammenarbeit mit Pia Strietmann, der Regisseurin, die ja auch maßgeblich an dem visuellen Konzept beteiligt war. Eine wie ich finde hervorragende Zusammenarbeit im besten Wortsinn! Wenn sich die Ideen so hochschaukeln und man die Sachen nicht so nimmt, wie sie im Drehbuch stehen, was schon sehr gut war, sondern den Willen hat, da noch draufzusetzen! Da ist viel entstanden, was Energie und Zeit gekostet hat. Dafür die Anerkennung zu bekommen, dass sich das transportiert, ist eine tolle Belohnung.

Es ist nicht selbstverständlich, dass eine so intensive Vorbereitung beim „Tatort“ möglich ist. Woran lag das?
Das war eine Kombination von Gründen. Natürlich muss man einen Produzenten an Bord haben, der willens ist, so etwas auch anzuschieben. Das hat Michael Polle von X Filme getan. Etwa drei Monate, bevor es losging, haben wir mit dem Szenenbildner Michael Köning und den Department Heads die erste Motivtour gemacht. Das hat uns einen wahnsinnigen Vorsprung gegeben, da wir so sehr früh schon mit konkreten Motiven arbeiten konnten. Uns wurde sehr früh klar, dass das Motiv „Führungsstab“ ein Studiobau sein wird. Den Raum gab es so nicht und es wurde viel Geld in die Hand genommen, ihn nach unseren visuellen Vorstellungen zu bauen. Der Führungsstab wird zum Drehpunkt der Geschichte. Es hat sicher auch zur visuellen Dichte beigetragen, dass in wochenlanger Kleinarbeit die ganzen Einspieler vorbereitet worden sind. Da hat sich die Producerin Jana Kreuzer von X Filme Creative Pool mit Pia zusammen sehr um den Content gekümmert. Wir haben einen Schaltplan erstellt, was wo in welcher Szene eingespielt werden muss. Du kannst so eine extra Arbeit nur auf einer freiwilligen Basis stemmen. Das ist Zusatzenergie, die man da reinsteckt, denn die Gage bleibt für alle Beteiligten die gleiche. Ob du die normal kalkulierte Vorbereitungszeit reinsteckst oder halt schon Wochen vorher anfängst und auch die Wochenende durcharbeitest. Das bleibt das private Vergnügen.

Die Filmhandlung basiert lose auf den Ereignissen vom 22. Juli 2016 in München, dem Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum …
Wir wollten auf keinen Fall eine Nacherzählung machen. Das versucht auch das Buch nicht. Aber wir wollten, dass sich das Gefühl überträgt, was zu diesen Stunden in der Stadt herrschte.

Wie hast du versucht, dieses Gefühl visuell zu unterstützen?
Die Grundlage war ein hervorragendes Drehbuch von Holger Joos, der das schon unglaublich visuell geschrieben hat. Man hat das Buch gelesen und den Film quasi vor dem inneren Auge gesehen. Ich stelle immer wieder fest, wenn man in die Auflösung eines Films geht, werden die dramaturgischen Schwächen eines Drehbuchs klar. Du sprichst über Kamerapositionen und Einstellungen in einem inhaltlichen Zusammenhang. Man fragt sich, ist man jetzt in dem Moment physisch nah an einem Schauspieler, ist das beobachtend, ist das länger brennweitig, eine Over Shoulder – dadurch bekommt die Kamera eine Dramaturgie. Je schwächer ein Buch ist, desto schneller bleibt man irgendwo hängen und fängt an, den Inhalt zu diskutieren. Warum verhält sich der Protagonist jetzt so? Warum geht er von A nach B? Da hatten wir großes Glück, weil das Buch so gut war!

Zuschauer und Ermittler teilen die „Unklare Lage“ und wissen stets gleich wenig.

Was hast du für deine Kamera daraus destilliert?
Was wir früh besprochen haben ist, dass wir eine komplette Orientierungslosigkeit bei den Kommissaren wollten. Darum geht es letztendlich. Die Ermittler sind immer nur so weit wie der Zuschauer. Wir haben das kombiniert mit dem zweiten Hauptstrang der Geschichte – der Familie des Amokläufers. Da wollten wir einen Kontrast her- stellen. Es ging uns darum, nicht per se einen Handkamera- oder Steadicamfilm zu machen. Wir wollten ganz bewusst Ruheinseln schaffen, wo man auf einmal komplett bei den Figuren ist! Für mich ist der stärkste Moment, wenn die Mutter am Tisch sitzt und in den Nachrichten erfährt, dass ihr Sohn ein Amokläufer ist. Dann hält die ganze Welt an. Auf einmal ist das eine sehr ruhige, minimalistische Zufahrt auf sie. Und man ist total bei der Figur!

Du hast erwähnt, dass Regisseurin Pia Strietmann stark ins visuelle Konzept involviert war. Kannst du noch etwas zu eurer Zusammenarbeit sagen?
Pia war es wichtig, das der Film sich authentisch anfühlt und man nah an den Figuren dran ist. Nicht einen Look wegen des Looks zu erzeugen, sondern immer inhaltlich motiviert. Deshalb funktioniert das bei uns so gut. Für Pia war es eine große Herausforderung, in den vielen Actionsequenzen auch Momente für die Schauspielerarbeit zu finden. Auch weil wir so einen irren Zeitdruck hatten. Und letztendlich ist es die Aufgabe der Kamera, der Regie die Zeit zu geben, mit den Schauspielern arbeiten zu können. Manchmal gab es die Entscheidung, dass bei dem Pensum die Schnittfrequenz für die Sequenz jetzt entscheidender ist, als dass jeder Take in sich perfekt ist. Aber was bei Pia herausragend ist: Sie ist ein visuell denkender Mensch und kann gleichzeitig auf ihre Geschichte und die Figuren achten. [13260]

 

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