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DoP Matthew Lewis dreht „Adolescence“ als One-Shot

Fließender Blick (2)

Wie setzt man eine komplette Serie als One-Shot um? DoP Matthew Lewis und sein Team entwickelten für „Adolescence“ ein außergewöhnliches technisches Setup, von Kamera über Licht bis Szenenbild.

Filmstill "Adolescence"
Foto: Netflix

Ein zentrales Element war die genaue Planung der Kameraübergaben. Ob durch ein geöffnetes Fenster, an eine Person in einem fahrenden Fahrzeug oder – besonders spektakulär – an eine Drohne am Ende von Episode zwei: Jede Übergabe musste sitzen, ohne dass das Publikum sie als technische Nahtstelle wahrnimmt.Die Sequenz, in der die Kamera vom Operator auf die wartende Drohne übergeht, wurde mehrmals getestet, abgestimmt auf Signalreichweite, Gewicht und Flugverhalten. Die Übergabe erfolgte letztlich durch zwei Grips, die Drohne und Kamera koppelten, bevor sie in die Luft stieg.

„Dafür nutzten wir ein ‚Shot Dock‘, eine kugelförmige Verbindung, die sich in jedem Winkel einsetzen lässt“, erläuterte Lewis dem „British Cinematographer“. „Eine Federmechanik verriegelt sie an einem Zapfen. Das Bauteil gab es zwar schon, aber die Halterung zur Verbindung mit der Drohne musste unser Drohnenteam ‚The Helicopter Girls‘ speziell anfertigen.“

Stabil in vier Achsen

Bei der Wahl der Kamera entschied sich das Team um Matthew Lewis mit der DJI Ronin 4D früh für ein Setup, das aus ihrer Sicht Mobilität, Stabilität und Bedienkomfort vereinen würde. Dieses Kamerasystem kombiniert eine interne Vier-Achsen-Stabilisierung inklusive vertikaler Dämpfung (Z-Achse) mit einem vollintegrierten Monitor- und Fokussystem. Anders als beim Setup von „Boiling Point“, wo sich DoP Lewis auf eine Sony VENICE mit RIALTO-Erweiterung auf einem Easyrig verlassen hatte, konnte die Ronin 4D deutlich geschmeidigere Bewegungen ermöglichen, so dass die Kameraarbeit im Bild nicht spürbar war.

Zuvor hatte Matthew Lewis ausführlich verschiedene Systeme getestet, darunter klassische Gimbal-Konstruktionen und modulare Setups mit Fremd-Optiken. Viele davon erwiesen sich jedoch entweder als zu schwer, zu instabil oder lieferten nicht die ausreichende Bildqualität. Erst die Ronin 4D bot die gewünschte Kombination aus Flexibilität und cineastischer Bildsprache. „Es war sofort klar, dass dieses System perfekt zu unserem Vorhaben passte“, bekräftigt Lewis. Zur Vorbereitung gehörte aber auch, die technischen Grenzen der Ronin 4D beispielsweise beim Dynamikumfang oder beim Rolling Shutter während schneller Bewegungen zu kennen und sie entsprechend zu berücksichtigen.

Adolescence BTS
Für die zweite Episode wurde die Ronin 4D während des Drehs an eine Drohne übergeben. (Foto: Netflix)

Ein wichtiger Aspekt war das Gewicht der Systemkomponenten. Da der Gimbal der Ronin 4D lediglich Optiken von maximal einem Kilogramm verkraftet, musste der DoP das bei der Wahl seiner Objektive berücksichtigen. Lewis testete mehrere Cine- und auch Foto-Optiken, bis ihm die Cooke-SP3-Serie empfohlen wurde. Hierbei handelt es sich um ein leichtes Vollformat-Objektivset mit einem Look, der stark an die charakteristischen Cooke S4 erinnert, aber laut Lewis eine zusätzliche Vignettierung sowie Struktur in den Rändern aufweist. Die SP3 überzeugten ihn nicht nur durch ihr Gewicht von lediglich 520 Gramm pro Optik, sondern auch durch ihre Hauttontreue und die cineastische Farbcharakteristik. „Sie sahen sofort richtig aus, wie für unser Projekt gemacht“, resümiert Lewis.

Das Licht musste auf das konstante Zusammenspiel mit der Ronin 4D abgestimmt werden. Da Belichtungswechsel in One-Shots problematisch sein können, wurde vollständig darauf verzichtet, während der Aufnahme die Blende zu ändern. Stattdessen wurde konstant bei T2.8 gedreht, was die nötige Schärfentiefe im Bild zuließ und gleichzeitig den Schärfeassistenten nicht überforderte. Zur Feinsteuerung der Belichtung wurde ein Tilta Mirage mit variablem ND-Filter eingesetzt, was das Gewichtslimit des Gimbals komplett ausreizte.

Während Lewis die Kamera führte, begleitete ihn Schärfeassistent Sean Beasley, der gemeinsam mit dem zweiten Assistenten Adam Farquharson auch für die ständige Anpassung der ND-Filter verantwortlich war. So blieb die Belichtung auch bei Übergängen zwischen Innen- und Außenräumen stabil.

Um zusätzliche Reserven zu schaffen, wurde das Bild leicht überbelichtet und in der Postproduktion über eine angepasste LUT wieder in den gewünschten Dynamikbereich transformiert. Das Grading berücksichtigte dabei auch die Eigenheiten des Sensors und arbeitete mit Keyframes und Masken, um Belichtungswechsel nahtlos zu kompensieren. Insgesamt wurde das Kamerasystem so zu einem integralen Bestandteil der Inszenierung.

Licht und Szenenbild

Neben der Kameraarbeit war auch das Lichtdesign von Anfang an auf den One-Shot-Charakter der Serie abgestimmt. Oberbeleuchter Max Hodgkinson entwickelte gemeinsam mit DoP Lewis ein Beleuchtungskonzept, das sowohl realistisch als auch flexibel genug war, um dynamische Szenenwechsel ohne sichtbare Lichtumbauten zu ermöglichen.

„Wir wollten möglichst mit natürlichen Lichtquellen arbeiten, also mit Practicals, Fenstern und Reflektionen“, so Lewis gegenüber dem „British Cinematographer“. „Aber sie mussten steuerbar und präzise platziert sein.“ In Innenräumen kamen ARRI M40s sowie 6-kW-Einheiten als Tageslichtquellen zum Einsatz, die durch Fensterflächen auf Diffusoren gerichtet wurden. In der Polizeistation installierte das Team Panalux Tektiles in der Decke, die sich via DMX dynamisch steuern ließen. Dies erlaubte subtile Helligkeitsänderungen während eines Takes, etwa um Wetterveränderungen wie ziehende Wolken realistisch zu simulieren. Ansonsten kamen Creamsource Vortex8s, ARRI SkyPanels sowie einige L360-Cs und S60-Cs zum Einsatz, ergänzt durch Velvet Kosmos als harte Lichtquelle. Auch klassische Bürodeckenleuchten wurden umgerüstet und mit versteckt verbauten Astera Titan Tubes bestückt.

Adolescence BTS
Im Mittelpunkt der kammerspielartigen dritten Folge steht das Gespräch zwischen einer forensischen Psychologin und Jamie (Owen Cooper). (Foto: Netflix)

Besonderes Augenmerk lag auf den Lichtverläufen. In der Schluss-Szene eines Verhörs etwa dimmte Hodgkinson sanft die Leuchte über dem Cast herunter und hob gleichzeitig Lichter im Hintergrund an, so dass sich der emotionale Spannungsbogen auch beim Licht widerspiegelte. Bei anderen Szenen wie etwa im Schulgebäude wurden Lichtverhältnisse inszeniert, die sich mit dem Verlauf des Tages veränderten.

Für Außenmotive setzte das Team auf eine Mischung aus realem Sonnenlicht und mobilen Flächenleuchten. In manchen Fällen wurden Fenster durch textile Diffusoren oder leichte Verdunkelungselemente moduliert, um den Lichteinfall innerhalb des nötigen Toleranzbereichs zu halten. Die Farbwiedergabe wurde bereits am Set in Richtung der späteren Grading-Charakteristik angepasst, beispielsweise durch gezielten Einsatz von Warm- oder Cool-LEDs, die den Look des Kodak Vision3 500T-Materials nachahmten, das als Stilvorlage gesetzt war.

Auch das Szenenbild war genaustens abgestimmt. Produktionsdesigner Adam Tomlinson baute gemeinsam mit seinem Team komplexe Sets, die eine kontinuierliche Kameraführung über mehrere Räume hinweg erlaubten. Eine ehemalige Lagerhalle wurde für das Finale in einen Baumarkt verwandelt. Besonders aufwendig war der Bau eines Außensets direkt neben dem Studio, das als Einfahrt zur Polizeistation diente. In der Serie wirkt das wie ein echter Ortswechsel, der aber tatsächlich in einem Studiokomplex stattfand.


Den Einstieg in das One-Shot-Konzept und die Idee hinter ‚Adolescence‘ findest du hier. Wie Postproduktion, Grading und Teamarbeit das Projekt vollendeten, kannst du morgen lesen!“


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