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Panel zum Thema „Diversität und Gleichstellung“ auf dem cineCongress 2022 (2)

Offener Austausch

Unsere Branche hat Nachholbedarf bei Diversität und Gleichstellung vor wie hinter der Kamera. In einem Panel auf dem cineCongress 2022 ging es um mögliche Lösungsansätze. Wir fassen das Gespräch in zwei Teilen zusammen.

Sasha Bühler und Moderator Timo Landsiedel beim Panel "Diversität und Gleichstellung"
Sasha Bühler, Director Film EMEA bei Netflix, und Moderator Timo Landsiedel (Foto: Ebner Media Group)

Jakob M. Erwa und Nataly Kudiabor betonten, dass es dann immer um einen offenen Austausch gehe. Es gebe keine falschen Fragen. Wichtig sei nur, dass jemand aus der betreffenden Community hinzugezogen werde. Sasha Bühler sprach dann die Arbeit an einem konkreten Projekt an, das gerade in der Entwicklung ist.

Sasha Bühler: Wie Nataly gerade gesagt hat, wir machen einen Film zusammen. Und – sehr lustig: Ich hab einen Mann dazugeholt, weil wir alle Frauen sind! Und der hat uns sofort gesagt, dass die männliche Rolle total klischeehaft ist. Das geht natürlich gar nicht.

Der Streamingsender Netflix gab eine Studie an der USC Annenberg bei von Dr. Stacy L. Smith in Auftrag deren Ergebnisse 2021 veröffentlicht wurden. Darin ging es sowohl um die Inhalte und deren Repräsentation als auch um die Unternehmensstruktur. Sasha Bühler nennt das Hauptresultat und erklärt, aus welcher Unternehmenskultur es stammt.

Sasha Bühler: Ganz einfach: Wir haben gesehen: Inklusion hinter der Kamera führt zur Inklusion vor der Kamera. Eigentlich hätten wir keine Studie machen müssen. Big surprise! Bei Netflix veröffentlichen wir das auch ständig auf unserer Karriereseite. Da kann jeder sehen, wie wir intern dastehen. Die Hälfte von Netflix ist weiblich, auch auf der höchsten Führungsebene. In Deutschland sind wir 80 Prozent weiblich. Also Head of Film, Head of Series, Head of Reality – alles Frauen. Und das sieht man selten in Deutschland, dass Frauen in Entscheidungspositionen sind. Das finde ich echt klasse.Wir werden ständig aufgefordert, uns zu fragen: Wer ist ausgeschlossen? Wer kommt nicht zu Wort? Ist es eine authentische Darstellung?

Diversität als Feigenblatt

So entschied sich Netflix nach der Konsultation mit den Mitgliedern der LGBTQI+-Community im eigenen Hause dagegen, im Pride Month für kurze Zeit eine extra Rubrik zum Thema LGBTQI+ auf der Startseite hervorzuheben. Andere Streaminganbieter machten das und sahen sich dem Vorwurf des „Queerbaiting“ ausgesetzt. Die Gefahr, als reines Feigenblatt oder Zeitgeistthema benutzt zu werden, besteht bei vielen Themen der Diversität. Jakob M. Erwa berichtet von einem Projekt, zu dem er explizit dazu geholt wurde, um Diversität in Team und Stoff zu bringen.

Jakob M. Erwa auf dem Panel "Diversität und Gleichstellung"
Jakob M. Erwa vertrat die These, dass Regelwerke für mehr Diversität in der Branche nötig sind. (Foto: Ebner Media Group)

Jakob M. Erwa: Da war erst mal eine große Freude darüber. Aber ich hab während der Arbeit immer deutlicher gemerkt, dass das eigentlich ein reines Lippenbekenntnis war und dass das Verständnis für Diversität und Inklusion dahinter eigentlich gar nicht da ist und meine Einwände immer lästiger geworden sind. Ich habe immer gesagt: „Na ja gut, aber wenn man Diversity will, dann ist das Arbeit und braucht auch Zeit, denn man will sie ja auch zeigen.“ Das ist dann immer schwieriger geworden und ich habe gemerkt, dass das eigentlich nicht gemeint ist, also ich bin dann nicht gemeint damit. Und ich kann dann nicht das erzählen, was mir wichtig wäre und von dem ich weiß, dass es erzählt werden muss. Sondern es wäre eigentlich cool: „Stempel Diversity drauf und Jakob hält die Klappe.“ Das kann ich nicht. Das funktioniert für mich nicht gut.

Nachdem die Zahlen in den letzten Jahren zeigen, dass Freiwilligkeit in der Implementierung von Gleichstellung und Diversität nicht ausreicht, ist das Mittel der Quote immer wieder ein kontroverses Gesprächsthema. Auch das Panel ging kurz darauf ein.

Sasha Bühler: Also für uns [bei Netflix] sind Diversität und Inklusion Kernbestandteile unserer Kultur. Wie ihr schon gehört habt, in den USA ist man natürlich viel weiter. Die Hälfte unserer Mitarbeiter kommt aus unterrepräsentierten Gruppen. Das war schon immer super wichtig für uns. Ich glaube daher, dass wir bei Netflix selber nicht unbedingt eine Quote brauchen – aber grundsätzlich bin ich pro Quote, weil sie einfach nötig ist, damit in der Gesellschaft etwas passiert.

Jakob M. Erwa: Das ist das typische Ding. „Der Markt regelt es.“ Aber der Markt regelt es nicht! Und deswegen braucht es für manche Dinge, die gesellschaftlich wichtig sind, halt Regeln.

Werkzeuge

Im Gespräch über die Werkzeuge sprach sich das Panel für Tools wie etwa die Diversität-Checkliste der MOIN Filmförderung aus, nicht um bei allen Projekten alle Kästchen anzukreuzen, sondern vor allem, um regelmäßig die eigenen Stoffe überprüfen zu können. „Wenn man gar nichts trifft“, so Jakob M. Erwa, „dann darf man sich schon Gedanken machen.“ Auch Writer‘s Rooms sind divers besetzt gute Orte, um eine Diversität sowohl vor der Kamera als auch dahinter zu erreichen.

Das Gespräch widmete sich ebenfalls der Förderung der weiteren Gewerke hinter der Kamera. Hier gibt es weniger aussagekräftige Zahlen, aber auch schon die ersten Initiativen, um Strukturen aufzubauen. So berichtet Sasha Bühler von GROW CREATIVE, einer Initiative von Netflix, die Talente vor und hinter der Kamera mit dem Fokus auf Diversität ausbildet. In dem Kreis der Verantwortlichen kam die Idee auf, mit den Filmhochschulen zusammenzuarbeiten, um dort so früh wie möglich Talente zu fördern und deren Geschichten zu erzählen. So entstand das Projekt „Boosting the Next Generation: Förderung von Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion an Filmhochschulen“. Im Sommer wurde eine Koordinationsstelle ausgeschrieben, die von Netflix über die MaLisa-Stiftung für sechs deutsche Film-hochschulen finanziert wird.

Für Deutschland wird zudem aktuell ausgewählt, welche internationalen Programme aus dem GROW-CREATIVE- Portfolio übertragbar sind. So gibt es in Frankreich ein Programm, dass sich explizit an Communities wendet, für die eine Medienkarriere aufgrund von sozialen und gesellschaftlichen Gründen bisher gar nicht denkbar war. Die Förderung kann von bezahlten Praktika-Programmen, Traineeships bis zu Stipendien gehen.

Die Notwendigkeit für solche Programme sieht Nataly Kudiabor durchaus in der Qualität und Herkunft der bei ihr eingereichten Stoffe bestätigt.

Nataly Kubiador auf dem Panel "Diversität und Gleichstellung"
Nataly Kubiador berichtete, wie bei der UFA mehr Vielfalt auf der Entscheidungs- ebene mehr Vielfalt bei den realisierten Stoffen generierte. (Foto: Ebner Media Group)

Nathaly Kudiabor: Jetzt ist die nachhaltige Ausbildung von Menschen, die nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft sind, extrem wichtig.  Es gibt zurzeit einen wahnsinnigen Bedarf und viele Leute, die noch gar nicht die Chance hatten sich auszubilden, weil sie bislang noch nicht wussten, dass es für sie überhaupt einen Platz in der Branche gab. Es fehlten die Rolemodels. Es gibt zum Glück bei Netflix und auch bei anderen Anbietern Ausbildungsprogramme, in denen Menschen einfach in den Job gebracht werden, man ein Shadowing-on-the-Job macht, wie Sascha eben gesagt hat. Hier bekommen sie die Chance, einfach erst mal zuzuschauen und zu lernen. Wichtig ist, dass so ein Training-on-the-Job auch bezahlt wird, damit die Leute sich das überhaupt leisten können. Die größte Angst, die ich momentan habe, ist, dass Leute aufgrund der großen Nachfrage in Jobs verbrannt werden, weil sie noch gar nicht die Zeit und die Chance hatten, genug Erfahrung zu sammeln. Man muss in die Zukunft investieren. Wir müssen jetzt das Geld in die Hand nehmen, damit wir vielleicht in drei, vier Jahren in allen Bereichen des Filmschaffens vielfältig aufgestellt sind.

Die Produzentin glaubt an die befruchtende Arbeit innerhalb von Teams. Deshalb versucht sie erfahrene Autorinnen und Autoren mit jungen Talenten zusammenzubringen. Davon profitieren ihrer Erfahrung nach oft beide Seiten. Das erfordert aber Zeit und Geld.

Fazit

Am Ende des Gesprächs war klar: Es ist noch ein langer Weg zu gehen. Das zeigten auch die Fragen aus dem Publikum. Eine Selbstverständlichkeit, mit der sich diversere Geschichten miterzählen lassen, kann sich nur einstellen, wenn auch an den verantwortlichen Stellen, ob nun Redaktionen, Kameracrews oder Writer‘s Rooms, Menschen tätig sind, die ein breites gesellschaftliches Spektrum abdecken. Die Strukturen sind nur aus dem Innern der Sender, Streamer und Produktionen zu verändern. Hier gibt es bereits zahlreiche Impulse. Film & TV Kamera wird das Thema verfolgen und von neuen Entwicklungen berichten. [15289]

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