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Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (10)

Freiräume nutzen – Milad Raha

In unserer Reihe mit den Gewinnern beim 31. Deutschen Kamerapreis stellen wir Milad Raha vor, der den Nachwuchspreis im Bereich Schnitt bekam.

Porträt von Milad Raha
Milad Raha (Foto: Jonathan Fischer-Appelt)

Milad Raha wurde 1989 in Bonn geboren. Nach dem Abitur studierte er Musikwissenschaften an der Universität Köln und kam dort zufällig mit der ansässigen Filmbranche in Kontakt. Dort sammelte er drei Jahre lang als Grip- und Kamerassistent sowohl bei szenischen Spielfilm- als auch bei Werbefilmproduktionen praktische Erfahrungen. Hauptsächlich war er dabei im Kameradepartment der Serie „Alarm für Cobra 11“ tätig. 2016 nahm er schließlich als Stipendiat sein Studium an der Hochschule Macromedia mit dem Schwerpunkt Kamera in Köln auf. Während seines Studiums setzte er als Kameramann mehrere Ausbildungs- und Kurzspielfilme in Szene und übernahm parallel dazu auch erste Auftragsarbeiten im Werbefilmbereich. 2020 schloss er sein Studium erfolgreich ab. „Welcome To My Room“ ist sein Abschlussfilm, für den er in Eigenregie eine individuelle Schnittversion als „DoP‘s Cut“ anfertigte und beim Deutschen Kamerapreis einreichte.

Herzlichen Glückwunsch zum deutschen Kamerapreis, den du für Schnitt in der Kategorie Nachwuchs bekommen hast, obwohl du eigentlich Kameramann bist. Wie kam es dazu, dass du „Welcome To My Room“sowohl gedreht als auch geschnitten hast?
Wir haben den Film mit sehr wenigen finanziellen Mitteln, komplett in Eigenregie und mit wahnsinnig viel Herzblut auf die Beine gestellt. Schon zu Beginn wurde festgelegt, dass ein Kernmitglied des Teams den Film schneiden möchte und das wurde dann auch erst einmal so abgesegnet. Irgendwann kam es dann zu einer Sichtung des Rohschnitts vor unserem Semester und den Dozenten. Bis dahin wurde ich noch nicht mit dem Film im aktuellen Stand konfrontiert und alle waren sehr auf das Ergebnis gespannt. Der Film wurde präsentiert und es standen die Münder doch relativ weit offen, weil der Film zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr ausgereift war, ohne ihn jetzt schlechtreden zu wollen.

Das ist ja so ein wenig die Gefahr, wenn man unfertige Produkte oder einen Rohschnitt sichtet.
Ja, nur war der Film leider auch noch einigermaßen weit davon entfernt, ein Rohschnitt zu sein, und mir fiel tatsächlich die Kinnlade herunter. Für mich war dieser Film in unserem Studium eigentlich das, worauf ich die ganze Zeit hingearbeitet hatte, das potenzielle Jobticket. Wir haben an der Uni eine eher überschaubare Anzahl an Filmen gedreht und für mich war das Ziel in diesen drei Jahren, alles in dieses Abschluss-Projekt zu stecken.

Ich dachte mir also, ich respektiere, dass jemand seinen Film und seine Idee auch schneiden will, nehme mir aber jetzt auch mein Recht heraus und biete eine alternative Fassung an! Vier Wochen habe ich dann alles daran gesetzt, mein bisheriges Know-how in diesen Film zu stecken. Eigentlich war das tatsächlich ein bisschen von der Angst getrieben, die Uni mit einem schlechten Endprodukt zu verlassen. Völlig überraschend ist es dann mit dem Kamerapreis im Bereich Schnitt ganz anders gekommen.

Das war auch eine leise Ironie des Schicksals, weil ich zu meiner Kameraassistenten-Zeit irgendwann mal ein Gespräch mit einer Cutter-Assistenz hatte und erzählt habe, dass ich bald mein Kamerastudium beginne und ich so froh bin, wenn ich irgendwann meine gedrehten Bilder einem guten Editor in die Hände drücken und mich darauf freuen kann, dass ein tolles Ergebnis herauskommt und nicht ich diesen Prozess am Hut habe. Aber als ich dann an der Uni anfing, habe ich fast mehr geschnitten als gedreht.

Du hattest also schon vorher Schnitterfahrung, die über dein Verständnis für Bilder als Kameramann hinausging.
Das ging schon im ersten Semester los und ich habe fast gleichermaßen Zeit hinter der Kamera verbracht wie auch vor dem Rechner, wo ich mir den Schnitt selbst beigebracht habe. Mein Ziel war es einfach, durch das Schneiden und die intensive Konfrontation mit meinem Bildmaterial, ein besserer Kameramann zu werden. Diese drei Jahre an Erfahrung haben mir sicher geholfen.

Ich habe am Anfang beim Schnitt von „Welcome To My Room“ total den Druck verspürt, irgendwem gerecht zu werden, habe das aber nach kurzer Zeit sehr schnell über Bord geworfen, weil ich dachte: Wann hat man schon mal später in der Karriere die Freiheit oder den Freiraum, einen Film so zu gestalten, ohne Produzenten im Nacken, dass man so kreativ sein kann, wie man möchte und habe die Türen dafür sperrangelweit offen gelassen. Das ist jetzt dabei herumgekommen.

„Welcome To My Room“ ist ja nicht unbedingt leichte Kost. Was hat das mit dir gemacht, über vier Wochen in vermutlich langen Schichten von diesen Bildern umgeben zu sein?
Am Anfang habe ich sehr viel nachts gearbeitet und dabei ist mir recht schnell aufgefallen, so nach vier oder fünf Tagen, dass ich mich ganz verblüffend wie unser Protagonist gefühlt habe. Das fing beim Selektieren und bei meinem persönlichen Rohschnitt schon an.

Filmstill aus "Welcome To My Room"
„Welcome To My Room“ erzählt eine düstere Geschichte. (Foto: Milad Raha)

Ich dachte, ich arbeite absichtlich in der Nacht, um auch dieses Gefühl des geschlossenen Raums zu haben und nichts anderes um mich herum wahrnehmen zu können. Das wollte ich zu meinen Gunsten ausnutzen, aber am Ende des Tages war ich fix und fertig, weil ich mich nur mit diesen düsteren Bildern umgeben habe und mit dieser düsteren Geschichte, die ja metaphorisch, aber konstant mit dem Tod zu tun hat. Das hat mich tatsächlich mitgenommen, aber ich glaube, dass ich diese Erfahrung spätestens ab der Mitte des Schnitts konstruktiv ausgenutzt habe, um dieses Gefühl in den Schnitt und in mein Verständnis vom Film mit einfließen zu lassen. Das war eine anstrengende Zeit, aber ich will sie auch gar nicht missen, weil es eben eine sehr interessante Zeit war, um am eigenen Leib zu erfahren, wie man sich in diesem Prozess persönlich beeinflussen kann, für so eine Art von Arbeit. Man kennt das ja vielleicht von Schauspielern im Bereich Method Acting, die sich in eine Rolle hineinleben und ich hatte die Erfahrung jetzt in ähnlicher Weise im Bereich Schnitt.

Method Editing …
Ja, und ich glaube, dadurch konnte ich die Gefühle des Protagonisten besser aufgreifen und fassbarer machen.

Die Jury beim Deutschen Kamerapreis hat ja auch gelobt, wie du schnellen Rhythmus und langsame Bilder miteinander ausbalanciert hast. Wie bist du das angegangen?

Ich habe wie die meisten Editoren, glaube ich, erst einmal die einzelnen Sequenzen roh geschnitten und dann die kleinen Häufchen auf meiner Timeline zusammengefügt. Tatsächlich war ich kurz davor, relativ klassisch zu arbeiten und einen gradlinigen Film daraus zu machen. Aber dann bin ich doch schnell zu einem Punkt gekommen, wo ich mich von jeder Erwartungshaltung von außerhalb verabschiedet und meine eigene Suppe daraus gekocht habe. Das Ziel war, die Gefühle des Protagonisten mit dem Instrument Schnitt widerzuspiegeln und eine völlig neue Ebene damit zu schaffen. Der Film ist ja, wie du schon gesagt hast, sehr schwierige Kost. Erstens ist er fast nonverbal und dann spielt er auch noch komplett in diesem Kubus von viereinhalb mal viereinhalb Meter, in dem ich kameratechnisch wirklich sehr in die Trickkiste greifen musste, um das überhaupt greifbar zu machen.

Und dann habe ich beim Schneiden bemerkt, dass der klassische Weg für dieses Projekt einfach langweilig ist und auch dem Thema überhaupt nicht gerecht wird. Danach habe ich mir die einzelnen Sequenzen noch einmal genauer angeschaut, mir auf dem Papier meine Gefühle zu den einzelnen Etappen notiert und versucht, Verben, die ich passend fand, auch aktiv im Schnitt zu visualisieren. Das führte dann zu teilweise sehr kräftigen Unterschieden im Rhythmus und im Pacing im gesamten Film. Aber die Story hat hier, meiner Meinung nach, genau diese unkonventionell harten Brüche diktiert und ich habe lediglich versucht, sie nur noch mal genauer und ausbalancierter herauszuarbeiten.

Da hat das erste Mal dieser Prozess begonnen, dass sich in mir echte und neue Emotionen geregt haben, obwohl ich den Film und das Bildmaterial schon in- und auswendig kannte und ich dachte: Hier bin ich auf dem richtigen Weg, das fühlt sich einfach richtig an, auch wenn es eine schmale Gratwanderung zwischen konventionellen und teilweise recht drastischen Mitteln ist. Aber genau das hat mich auf eine emotionale Reise mitgenommen, mich die Gefühlswelt des Protagonisten fühlen lassen und ich dachte mir, ja, genau so soll es sein. Den Weg verfolge ich jetzt weiter, ich bleib einfach mal mutig und ziehe das bis zum Ende durch. Es hat sich anscheinend gelohnt! [15124]

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