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Die Edimotion-Ehrenpreisträgerin Fee Liechti im Interview 

Der Sog entsteht am Schneidetisch

Mit Fee Liechti wurde beim Edimotion Festival für Schnittkunst in Köln in diesem Jahr zum ersten Mal eine Editorin aus der Schweiz mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Kyra Scheurer sprach mit ihr für unser Heft 12.2022 über ihre Arbeit entlang der Grenze von Fiktion und Dokumentation.

Die Editorin Fee Liechti im Gespräch mit Kyra Scheurer
Foto: Juliane Guder / Edimotion

Wie sind Sie zur Montage gekommen?
Das war mehr oder weniger Zufall. Ich war in den 1960er Jahren nach der Matura bei der Filmproduktion Condor Films als Sekretärin angestellt, weil ich nicht wusste, was ich studieren sollte. Ich war erst in der Werbeabteilung, konnte dann dort als Schnittassistentin anfangen und habe da gelernt „was es braucht“ – das war ein guter Start.

Und wie gelang dann der Einstieg in den Langfilmbereich?
Ich habe bei Heinz Berner, einem sehr guten Cutter, als Assistentin gearbeitet und mir war klar, dass ich im Schnitt bleiben möchte. Sehr unterstützt hat mich auch Georg Janett, neben Heinz Berner der andere große Editor in der damaligen Schweizer Filmszene. Er hat mich überredet, aus der Assistenz zu gehen und selbst zu schneiden. Bei meiner ersten eigenen Montagearbeit, dem Spielfilm „Das Unglück“, war er als Supervisor dabei und eine große Beruhigung. Von da an ging es dann für mich sehr gut weiter. Das hatte aber auch damit zu tun, dass sich damals der Neue Schweizer Film entwickelte und es viele gab, die sich als Filmemacher ausprobierten. Und da brauchte es dann eben auch Editoren für diese Filme. Heute ist es für die jungen Kollegen und Kolleginnen viel schwieriger, es gibt viel mehr Konkurrenz.

Wie haben sich die ersten Zusammenarbeiten mit den Regisseuren des Neuen Schweizer Films gestaltet?
Auch die Filmemacher waren damals noch nicht so erfahren – man hat dadurch vieles gemeinsam gelernt, sich dann nach Kräften bemüht und weiterentwickelt. Aber es gab dadurch auch nicht so einen großen Druck.

Gab es durch diese spielerische gemeinsame Entwicklung vielleicht auch einen mutigeren Umgang mit erzählerischen Experimenten, waren die Gattungsgrenzen auch deshalb in der Schweiz zu dieser Zeit durchlässiger als etwa in Deutschland?
Absolut. Es war mehr im Fluss. Das merkt man erst jetzt, in der Rückschau, wie viel mehr Freiraum es damals gab. Und mehr Zeit für die Projekte, die Filmproduktion war nicht so industrialisiert. Aber die Filme waren auch oft nicht so teuer, das Risiko nicht so hoch. Das waren wirklich ganz andere Bedingungen als heute.

Fee Liechti beim Schnitt von „Der Gemeindepräsident“
Fee Liechti 1983 beim Schnitt von „Der Gemeindepräsident“ (Foto: privat)

Es ist auffällig, wie viele Filme an der Grenze von Fiktion und Dokumentation Sie montiert haben.
Das hat sicher damit zu tun, dass ich speziell für solche Projekte angefragt wurde, weil ich einige Erfahrung in dem Bereich hatte.

Ein sehr bekanntes Beispiel hybriden Erzählens ist der bei Edimotion als Eröffnungsfilm gelaufene „Kongress der Pinguine“ von 1993. Hier wird die literarisch-fiktionale Ebene und das selbst gedrehte dokumentarische Material noch um die ebenfalls teilweise fiktionalisierte Ebene des Archivmaterials erweitert. Wie umfangreich waren hier die Recherchematerialien und was hatte das für den Schnitt zur Folge?
Es gab Transkripte, das schon. Bei „Kongress der Pinguine“ haben wir aber ein spezielles zusätzliches Verfahren angewendet: Der Film war ja auf 35 mm gedreht worden und wir haben das Negativmaterial dann zunächst auf Hi8 kopiert und dort vorsortiert – eine vollständige Arbeitskopie wäre schlicht zu teuer gewesen. Das waren sozusagen erste digitale Versuche, aber einfach als Sparmethode. Es wurde dann nur das kopiert, was wir brauchten und auf 35 mm sozusagen „nachgebaut“. Ein aus der Not geborenes Schnittverfahren, originell, aber natürlich eine Einschränkung im Arbeiten.

Zehn Jahre vor dem „Kongress der Pinguine“ ist mit Regisseur Hans-Ulrich Schlumpf bereits ein anderer hybrider Film entstanden: Während „Kongress der Pinguine“ als Dokumentarfilm um den Rahmen einer fiktionalen literarischen Erzählung erweitert, war „Trans Atlantique“ von 1983 ein Spielfilm, der erstaunlich viel dokumentarisches Material enthält. Wie haben Sie da die Ebenen der fiktionalen, mit Schauspielern inszenierten Liebesgeschichte und die dokumentarisch gedrehten Bilder aus Maschinenräumen, Mannschaftsunterkünften oder in Touristengruppen auf dem Ozeandampfer in der Montage gewichtet?
Das war wirklich fantastisches Material, gedreht auf der letzten Linienschifffahrt von Genua nach Sao Paulo. Da konnte sich das Team frei bewegen und drehen. Der Abspann trennt ja dann auch zwischen Schauspielern und realen Personen. Ein Ganzes aus dem Dokumentarischen und der Narration zu kreieren, war dann die eigentliche Arbeit – herauszufinden, wie das am besten zusammenspielt, wie Erzählung hier vermittelt und auch die Absicht dahinter transportiert werden kann. „Trans Atlantique“ hatte ein ganz klares Drehbuch, aber angesichts des hohen dokumentarischen Anteils war vieles eben doch vorab nicht so planbar wie bei klassischen Spielfilmen und man musste gucken, wie sich gute Übergänge finden lassen, wie man durch Schnitt behaupten kann, dass die fiktionalen Figuren die dokumentarischen Momente „beobachten“, auf sie reagieren.

Filmstill aus „Il Girasole“
Ein Gebäude als Protagonist: „Il Girasole“ (Foto: Schaub Filmproduktion)

Ihre Zusammenarbeit mit Christoph Schaub ist geprägt gewesen von den Filmen über Architektur und Architekten. Besonders der Kurzfilm „Il Girasole“ über eine 1935 erbaute Villa in der Nähe von Genua ist beeindruckend. Wie beeinflusst es die Montage, wenn der Protagonist ein Gebäude ist?
Das kommt sehr darauf an, wer die Kamera gemacht hat. Der Unterschied ist natürlich auch, dass sich Gebäude in der Regel nicht bewegen. Der Sinn für das architektonische Detail ist hier wichtig, der Rhythmus in Verhältnis zu Statik und Bewegung. Das ist eigentlich eine klassische Herausforderung für die Montage: Diese Dinge kann man nicht in ein Drehbuch schreiben, das entsteht beim Drehen, in der Auseinandersetzung, wie und bei welchem Licht wird überhaupt ein Gebäude gefilmt und dann wie macht man aus abstrakten Bildern eine Erzählung – das kann man vorher nicht bestimmen, der Sog entsteht am Schneidetisch. Bei „Il Girasole“ gibt es ja zusätzlich Schauspieler, die im architektonischen Raum inszeniert werden und einen Tagesablauf als Erzählung nahelegen. [15281]

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