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Quo vadis, Filmnachwuchs?

Das war der 39. Max-Ophüls-Preis

Im zweiten Jahr nach dem Leitungswechsel sieht Filmemacherin Anne Chlosta eine zweifelhafte Entscheidung beim Eröffnungsfilm, viel Erfreuliches, aber auch Zeichen, die ihre Sorge wecken.

39. Filmfestival Max Ophüls Preis – Preisverleihung: die Preisträger
39. Filmfestival Max Ophüls Preis – Preisverleihung: die Preisträger (Bild: MOP / Oliver Dietze)

Ein Wiedersehen mit alten Bekannten, auf und abseits der Leinwand. Erfrischend viele Filmemacherinnen und interessante weibliche Hauptfiguren unterschiedlichster Altersstufen. Fachveranstaltungen, die sich ihre informelle Atmosphäre erhalten haben. Viele Coming-Of-Age-Geschichten, die den Blick nach innen richten anstatt auf gesellschaftliche Umbrüche und sich dabei immer freier zwischen Genres hin- und her bewegen.

Aber auch: Ein zweifelhafter Eröffnungsfilm. Lolas Bistro, das vom Begegnungsort abseits der Kinosäle immer mehr zur Studentendisko wird und so den eigentlich gewünschten Dialog zwischen Filmemachern und Publikum sehr anstrengend werden lässt. Eine Preisverleihung, die bei mir zum Teil für Unverständnis und Bedenken sorgte. Und der generelle Eindruck, den andere Festivalveteranen teilten, dass die bisherige Neugier in den Filmen und im Verhalten der anwesenden Filmemacher abzunehmen schien. Kurz: Ein Jahr vor seinem 40. Jubiläum war der Besuch des Filmfestivals Max Ophüls Preis für mich ein gemischtes Vergnügen.

Vieles von dem, was ich gesehen habe, kam mir bekannt und bereits vielfach gesehen vor. Oft fehlten mir Mut, Experimente und neue Wege des cineastischen Erzählens. Daher frage ich mich: Erleben wir bei diesen jungen Filmen einen weiteren Rückzug ins Innere? In die noch heilen oder doch wenigstens überschaubaren Welten von Familie und Beziehung? Spiegelt der diesjährige Jahrgang damit also lediglich den Zustand unserer Gesellschaft und die Bewegung vieler junger Leute zurück zu traditionellen Werten wieder?

Es gab Filme, die herausstachen. Da wäre Lisa Brühlmanns Langspielfilm „Blue My Mind“, der sich in virtuosen Bildern von Gabriel Lobos intensiv und konsequent mit dem Selbstfindungsprozess der 15-jährigen Mia beschäftigt. Was als reiner Coming-of-Age-Film beginnt, der die verwirrenden Stationen der Pubertät auf eindringliche Weise spürbar macht, bekommt durch den gekonnten Einsatz von Genreelementen einen ganz anderen Ton. Dadurch entwickelt der unaufgeregte Film mit einem großen Gespür für seine Hauptfiguren einen starken Sog, dem man sich auch durch das feine Sounddesign nur schwer entziehen kann.

Ähnlich intensiv ist das Kammerspiel „Draussen in meinem Kopf“ der Hamburger Regisseurin Eibe Maleen Krebs. Der Film spielt sich im Krankenzimmer von Sven (berührend dargestellt von Samuel Koch) ab, der an schwerer Muskeldystrophie leidet. Aus der anfänglichen Abneigung zwischen ihm und seinem neuen FDJler Christoph (unfassbar gut verkörpert von Nils Hohenhövel) entsteht eine tiefe Freundschaft, die nie in Kitsch abdriftet. Der Film bewegt auch durch die herausragenden Bilder von Judith Kaufmann, der es gelingt, die visuelle Ästhetik dieses einen Raumes immer wieder neu zu definieren.

Screenshot aus dem Film Landrauschen, der 3 Preise abräumen konnte.
Screenshot aus dem Film “Landrauschen”, der 3 Preise abräumen konnte. (Bild: Foto: Miller & Müller Film)

Ein Film der ganz anderen Art ist „Angst (Love will keep us safe from death)“ von Vladislav Yö mit der eigenwilligen Renata Litvinova in einer Hauptrolle. In kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern, die sehr an den Stil von Greta Garbo und Marlene Dietrich angelehnt sind, beschäftigt sich der experimentelle Film mit der Frage, ob es sich lohnt, uns Menschen zu lieben. Dabei fährt der Filmemacher ein Arsenal an VFX-Effekten und philosophischen Dialogen auf, das sich gewaschen hat. Das mag den einen abstoßen. Mich hat es beeindruckt. Hier weiß jemand, was er wie erzählen will und zieht es ohne Rücksicht auf Verluste durch.

Diese Konsequenz trifft auch auf den Spielfilm „Sarah spielt einen Werwolf“ der Regisseurin Katharina Wyss zu. Selten habe ich ein so eindringliches, anrührendes filmisches Hinabsteigen in eine verlorene Jugendseele miterleben dürfen. Beim Zuschauen schwankte ich zwischen Lachen und Weinen und kam am Ende vollkommen mitgenommen aus dem Kinosaal. Das liegt an der überragenden Hauptdarstellerin Loane Balthasar und an den Bildern im 4:3 Format, die die Hauptfigur so einkesseln, dass man ihre Flucht in die Fantasie nachfühlen kann. Ein Film, der unter die Haut geht.

Für den Eröffungsfilm „Der Hauptmann“ von Robert Schwentke gilt dies nicht. Der prominent besetzte, in Schwarz-Weiß gedrehte Film erzählt die (wahre) Geschichte des jungen Gefreiten Willi Herold, der in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs auf der Flucht eine Hauptmannsuniform findet und in ihrem Bann immer mehr Gewalttaten anordnet. Ein langer Film, der in seiner Tonalität zwischen Groteske, Kriegsepos und psychologischem Drama hin- und herspringt und mich dadurch nach seiner Aussage raten lässt. Was wird hier verhandelt? Dass von vornherein niemand eine Chance gegen das faschistoid entmenschlichende System hatte? Dass Gewalt (die psychopathischste Figur wird von Frederick Lau verkörpert, der dieser Rolle eine gehörige Portion Coolness mit auf den Weg gibt) cool ist? Und vor allem: Was hat dieser Film, der nun wirklich nicht von Nachwuchs gemacht wurde, als Eröffnungsfilm auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis zu suchen?

Als großer Liebhaber von gerade deutschen Genrefilmen freute ich mich dann sehr, einen ganzen „Genreblock“ mittellanger Filme im Programm zu finden. Dabei fiel vor allem „IOX“ der Regisseurin Gwendolin Stolz auf. Gekonnt setzt die Filmemacherin die Münchner Kanalisation als düstere, geheimnisvolle Welt in Szene. Sie zeigt eine packende Zukunftsvision von Deutschland im Jahr 2030, in dem ein Kampf zwischen Menschen und Droiden entbrannt ist, dessen Fronten angenehm unübersichtlich verschwimmen. Die Glaubwürdigkeit und der Sog dieser dystopischen Welt haben mich beeindruckt. Umso mehr, da sie, wie viele der gezeigten Produktionen, mit wenig Mitteln hergestellt worden sind.

Auch „Everyday“ von Lutz Rödig möchte ich erwähnen. Der in seltsam farblosen Tableaus streng durchkomponierte Film beschäftigt sich mit den kleinen grausamen Welten, in die wir uns so gerne gegenseitig befördern. Mich hat er durch seine konsequente Bildsprache und durch immer mehr zunehmende Spannung, die sich irgendwann einfach entladen muss, überzeugt.

Mit jeweils drei Auszeichnungen waren die Filme „Landrauschen“ von Lisa Miller und „Cops“ des österreichischen Regisseurs Stefan A. Lukacs die großen, sehr unterschiedlichen Gewinner des Festivals. „Landrauschen“ erzählt die Geschichte der jungen Toni, die aus dem hektischen Berlin in ihr Heimatkaff Bubenhausen flieht und mit der Engstirnigkeit der dort lebenden Menschen konfrontiert wird. Vor allem, als sich zwischen ihr und der offen lesbischen Rosa etwas anzubahnen scheint.

„Cops“ zeigt dagegen schonungslos den Kampf eines Polizeirekruten in einer Welt, in der eine gewaltbereite Form von Männlichkeit zum Ausdruck eines neuen Heldentums geworden ist.

Lisa Millers Team nahm für „Landrauschen“ den Preis für den besten Spielfilm, den Fritz-Raff-Drehbuchpreis und den Preis der Ökumenischen Jury mit nach Hause. Ich freue mich für das junge, unfassbar engagierte Team, das den Film über Crowdfunding sowie mit der Unterstützung des gesamten Dorfes Bubenhausen gedreht hat. Das verdient Bewunderung und Respekt. Zudem behandelt der Film ein Thema, das mir am Herzen liegt: Das harte Los, mit einer sexuellen Orientierung, die viele noch immer nicht als „normal“ empfinden, in der deutschen Provinz zu leben. Solche Geschichten müssen erzählt werden. Weil sie wichtig sind und weil diese Zustände Sichtbarkeit brauchen, damit sie sich ändern können.

Für die Regie von "Blue my Mind" wurde Lisa Brühlmann ausgezeichnet.
Für die Regie von “Blue my Mind” wurde Lisa Brühlmann ausgezeichnet. (Bild: Foto: Tellfilm)

Aber das alleine sollte nicht ausreichen dürfen, um den wichtigsten Preis des Filmfestivals Max Ophüls Preis zu gewinnen. Nicht, wenn der Unterschied zu den anderen Langfilmproduktionen in den Bereichen Drehbuch, Kamera, Darstellung, Schnitt und Ton so gravierend ist. Mich beschlich das Gefühl, dass wir es hier mit einem Fall von „Thema geht vor filmischer Umsetzung“ zu tun haben. Im Gegensatz zu den anderen Filmemachern hat Regisseurin und Drehbuchautorin Lisa Miller nie eine Filmhochschule besucht. Was natürlich nicht heißt, dass man in dem Fall keine guten Filme abliefern kann. Im Gegenteil.

Aber für mich ist „Landrauschen“ kein guter Film. Er besteht aus vielen, oft scheinbar willkürlich aneinandergereihten Szenen, die auch aufgrund der Tatsache, dass wir es fast ausnahmslos mit Laiendarstellern zu tun haben und viele der Dialoge improvisiert sind, langatmig daherkommen, eine schwankende Tonalität aufweisen und dramaturgisch und damit emotional oft ins Leere gehen.

Auch in dem, was er erzählen will, ist der Film inkonsequent. Erst lockt er uns auf die Fährte einer Coming-Of-Age-Entwicklung, bei der wir die Wandlung einer Großstadtgöre erleben, die ausgerechnet in der Provinz zu sich selber findet. Diese Provinz wird dabei überzeugend als exotische und abstoßende Welt präsentiert. Doch nach ungefähr zwei Dritteln des Films spielt Tonis Entwicklung nur noch am Rande eine Rolle. Nun sind wir bei Rosa und dem Kampf, den diese als (fast) einzige Lesbe in Bubenhausen auszufechten hat.

Zu dieser Figur, die von Nadine Sauter verkörpert wird, sei angemerkt, dass sie ein Frauentyp ist, den wir in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft leider nie erleben. Und das, obwohl er dort genauso seine Berechtigung hat wie all die langhaarigen, schlanken, „weiblichen“ Frauenfiguren, die zu Unrecht das vollständige Spektrum der Frauendarstellungen abzudecken scheinen. Das ist ein großer Pluspunkt, den ich dem Film und seinen Machern hoch anrechne.

Aber diese Geschichte und damit diese Frauenfiguren stehen nicht im Mittelpunkt des Films. Sie kommen am Ende wie Stiefkinder daher, sodass wir uns die meiste Zeit eben doch wieder mit der eher heteronormativ-weiblichen Frauenfigur auseinandersetzen, die sich dann letzten Endes, ohne dass wir diese Schritte in ihrer Entwicklung nachvollziehbar mitbekämen, für die Provinz mit all ihren heterosexuellen Werten entscheidet.

Die Verleihung des Fritz-Raff-Drehbuchpreises an diesen Film empfinde ich daher als vollkommen unverständlich. Wenn man so wenig Wert auf gutes, handwerkliches Erzählen legt, wird mir angst und bange bei dem Zeichen, das hier gesetzt wird.

Welche Konsequenz sollen deutsche DrehbuchautorInnen daraus ziehen?

Ähnliches gilt meiner Meinung nach auch für einen anderen Punkt, mit dem sich das Filmfestival Max Ophüls Preis als großes deutsches Nachwuchsfilmfestival im Besonderen und andere deutsche Filmfestivals im Allgemeinen auseinandersetzen müssen. Die meisten der gezeigten Filme wurden vor allem „mit viel Luft und Liebe“ (O-Ton der Filmemacher) gemacht. Für einen Film wie „Landrauschen“ gilt das erst recht. Man könnte meinen, dies sei eine gewünschte Entwicklung. Schließlich belohnt man mit einer solchen Auszeichnung die Tatsache, dass Nachwuchsfilmemacher sich selber ausbeuten und ganze Teams fast gänzlich ohne finanzielle oder andere Wertschätzung arbeiten.

Das Risiko, einen Film wie „Landrauschen“ mit dem Preis für besten Spielfilm auszuzeichnen, besteht meiner Ansicht nach darin, dass hier ein Trend zu einer neuen Selbstverständlichkeit gefüttert wird, der darin gipfeln könnte, dass sich die Situation des filmischen Nachwuchs in einer Zeit der ohnehin schon knappen Finanzierungsmöglichkeiten in Deutschland so weiterentwickelt, dass Sender und Förderanstalten davon ausgehen, dass der Nachwuchs es ja auch ohne sie und damit ohne jegliche Förderung schafft. Wenn man das bis in die letzte Konsequenz durchzieht, bleibt sehr wenig übrig.

Ein Nachwuchsfilmfestival muss sich mit diesen Fragen beschäftigen. Denn wenn dem Filmnachwuchs der Geldhahn zugedreht wird, vielleicht auch aufgrund oben erwähnter Zeichensetzungen, wird seine Zukunft und damit auch die Zukunft der vielseitigen, lebendigen, der neuen und aufregenden, bewegenden, der lustigen und aufrüttelnden Geschichten in Deutschlands Film- und Fernsehlandschaft immer ungewisser. Und damit natürlich auch die Zukunft des Filmfestivals Max Ophüls Preis. Denn ohne Nachwuchs kein Nachwuchsfilmfestival. Ohne Nachwuchs irgendwann überhaupt keine Filme mehr.

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