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Panel zum Thema „Diversität und Gleichstellung“ auf dem cineCongress 2022 (1)

Representation matters

Aktuelle Studien bescheinigen unserer Branche eine miserable Performance bei der Sichtbarkeit von Diversität und der Gleichstellung der Geschlechter. Das gilt für den Bereich vor wie auch hinter der Kamera. Damit sich etwas tut, müssen Strukturen verändert werden. Die Frage ist, wie? Im Panel „Diversität und Gleichstellung“ auf dem cineCongress 2022 ging es um die Bedeutung von Repräsentation, welche Werkzeuge es gibt und wie die Lage auch mit dem Fachkräftemangel zusammenhängt. Wir bringen in zwei Teilen Auszüge aus dem einstündigen Gespräch.

Das Panel „Diversität und Gleichstellung“ auf dem cineCongress 2022
Foto: Ebner Media Group

Hierzulande zeigen Untersuchungen der Uni Rostock unter der Leitung von Dr. Elizabeth Prommer in Kooperation mit der MaLisa-Stiftung von Dr. Maria Furtwängler in den letzten Jahren deutliche Missstände bei der Gleichstellung der Geschlechter. Die Studie von 2017 brachte zutage, dass es vor der Kamera signifikant weniger Darstellung von Frauen in verantwortlichen Positionen gab. Und wenn diese auftauchen durften, waren sie jung und entsprachen größtenteils dem Rollenbild. Die Studie von 2021 widmete sich auch der Repräsentation von diversen Bevölkerungsgruppen in medialen Werken. Hier zeichnete sich ein noch schlimmeres Bild ab. So befanden sich die Prozentzahlen der Abbildung von Figuren mit migrantischen Hintergründen, diverser Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung meist nur im einstelligen Prozentbereich. Internationale Studien zeichnen ein ähnliches Bild. So gab Netflix eine 2021 veröffentlichte Studie von Dr. Stacy L. Smith von der USC Annenberg heraus, die Netflix zwar hinter der Kamera progressiver als die Kinolandschaft darstellte, aber bei den Inhalten noch genügend Baustellen aufzeigte.

Für den Bereich hinter der Kamera fordern auch hierzulande Initiativen wie Pro Quote Film und die Cinematographinnen seit geraumer Zeit Veränderung. Aber wie soll die vonstatten gehen? Die Probleme sind struktureller Natur. Das Panel „Diversität und Gleichstellung: Wie schaffen wir den Strukturwandel vor und hinter der Kamera?“ widmete sich auf dem cineCongress 2022 am 16. September 2022 genau diesen Fragen. Ziel war es, Wege aufzuzeigen, wie dieser Wandel angestoßen werden kann, wo er schon begonnen hat und welche Werkzeuge wir haben und welche wir noch brauchen.

Verantwortung

Auf der Bühne des Audimax der HFF München diskutierten zu diesem Thema Nataly Kudiabor, Geschäftsführerin und Produzentin bei der UFA Fiction GmbH, Jakob M. Erwa, Regisseur und Drehbuchautor sowie Sasha Bühler, Director Film DACH bei Netflix. Zunächst betonten die Panelteilnehmer, wie wichtig es ist, dass alle Bevölkerungsgruppen in medialen Werken abgebildet werden. „Als ich aufgewachsen bin – ich bin 1970 geboren – da gab es im deutschen Fernsehen niemanden, der aussah wie ich“, sagt Nataly Kudiabor. „Ich habe zu dem Zeitpunkt sehr viele amerikanische Serien gesehen, wie „Prince of Bel Air“ oder „The Cosby Show“ und war einfach froh, andere PoC im Fernsehen zu sehen. Ich denke, das ist selbstverständlich, dass man sich Repräsentation und Vorbilder wünscht. Deshalb ist es unsere Verantwortung, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie aussieht.“

UFA-Geschäftsführerin Nataly Kubiador mit Regisseur und Drehbuchautor Jakob M. Erwa
UFA-Geschäftsführerin Nataly Kubiador mit Regisseur und Drehbuchautor Jakob M. Erwa (Foto: Ebner Media Group)

Jakob M. Erwa ging noch weiter und sagte, dass Filmemacher:innen oder Medienmacher:innen nicht nur die Realität abbilden sollten. „Wir können auch mal ein Stück weitergehen“, so Erwa. „Ich glaube, dass wir die Möglichkeit haben, mit einer künstlerischen Form, einer unterhaltsamen Form eben auch zu bilden.“ Das griff Sasha Bühler auf und öffnete den Bogen weltweit. Netflix habe mittlerweile 223 Millionen Abonnements in 190 Ländern. „Die sind natürlich nicht alle weiß und männlich“, so Bühler. „Sie wollen ihr Leben und ihre Erfahrungen auch auf dem Bildschirm widergespiegelt sehen. Homosexualität ist immer noch in über 70 Ländern der Welt strafbar, aber wir zeigen unseren LGBTQ+-Content überall.“ Was es für junge Menschen bedeutet, wenn ihre Geschlechtsidentität generell in der eigenen Gesellschaft nicht widergespiegelt wird, sei nicht zu unterschätzen.


Unsere Gäste

Nataly Kudiabor ist Geschäftsführerin und Produzentin bei der UFA Fiction GmbH. Kudiabor produzierte „All You Need“ für die ARD Mediathek über Großstadtleben von vier schwulen Männern. Für TNT war sie für „The Mopes“ verantwortlich, eine Dramedy-Serie über psychische Erkrankungen, die mit dem Publikumspreis der Marler Gruppe beim Grimme-Preis 2022 ausgezeichnet wurde. Nataly Kudiabor ist Mitglied der European Film Academy sowie der International Academy of Television Arts & Sciences.

Jakob M. Erwa ist Regisseur und Drehbuchautor. Er studierte Regie an der HFF München und verfilmte unter anderem das Jugendbuch „Die Mitte der Welt“ von Andreas Steinhöfel. 2021 veröffentlichte JOYN die sechsteilige Drama-Serie „Katakomben“, über das Aufeinanderprallen von Münchner Ober- und Unterschicht. Die Stories entwickelte Erwa mit der Neuesuper Filmproduktion und fungierte als Headautor und Regisseur. Jakob M. Erwa ist Mitglied der Österreichischen, der Deutschen und der Europäischen Filmakademie.

Sasha Bühler ist Director Film EMEA bei Netflix. Bühler begann ihre Karriere produzierend im Nachrichtensektor und erweiterte das Spektrum auf Dokumentationen, Animationsfilme und Spielfilme. Es folgten Stationen als Head of Acquisitions bei SquareOne Entertainment und bei der Münchener Filmhochschule (HHF). Vor Netflix war Bühler elf Jahre lang Head of Acquisitions and International Co-Productions bei Constantin Film. Sie engagiert sich in mehreren Frauennetzwerken aktiv und als Dozentin für Frauenfragen.


Panelteilnehmerin Sasha Bühler
Inklusion hinter der Kamera führt, so Sasha Bühler, zu Inklusion vor der Kamera. (Foto: Ebner Media Group)

Wake-up-call durch Netflix

Im folgenden Gespräch stellte Moderator Timo Landsiedel den Panelteilnehmern die Frage, ob sie das Gefühl haben, Sender und Redaktionen nähmen das Thema Diversität ernst oder haken eher Checklisten ab.

Jakob M. Erwa: Das kann ich ganz klar mit „Jein“ beantworten. Also ich habe das Gefühl, dass ein großes Bewusstsein da ist und auch sehr laut und medial sehr umfassend darüber gesprochen wird. Ich habe aber schon das Gefühl, dass in Deutschland durchaus noch ein bisschen Nachholbedarf ist. Für mein Empfinden sind noch zu wenige wirklich divers gewollte, breite Stoffe jetzt umgesetzt. Ich war dann echt erstaunt, als mit „All You Need“ dann bei den Öffentlich-Rechtlichen so ein Durchbruch kam. Ich hätte gedacht, die Streamer sind da sehr viel schneller.

Nathaly Kudiabor: Wie ich schon sagte: Representation matters! Eine entscheidende Person in der Entwicklung von „All You Need“ ist aus der Community, Christoph Pellander von der DEGETO. Er wollte diese Serie unbedingt umsetzen. Deswegen ging das sehr schnell. Das ist eines der besten Beispiele dafür, wie wichtig Vielfalt bei den Entscheider:innen und generell hinter der Kamera ist. Ich finde, es gibt schon eine Art Sinneswandel. Für mich ist das ganz klar am Markteintritt von Netflix 2015 festzumachen. Die Kolleg:innen haben mehr Vielfalt gefordert und für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man in der Besetzung anders denkt, die Geschichten anders erzählt. Das wurde plötzlich zu einem Wake-Up-Call für die ganze deutsche Branche, weil man gesehen hat: „Huch! Um Gottes Willen, die ganzen tollen Kreativen gehen jetzt woanders hin! Da müssen wir auch was ändern!“ Ich glaube, das war ein wichtiger Anstoß. Aber ich merke oft in Gesprächen, dass eine große Verunsicherung bezüglich der Umsetzung besteht. [15289]

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