Bislang waren Zoom-Objektive eher praktisch als stilbildend. Doch was, wenn man mit Zooms einen unverwechselbaren Look erzeugen könnte? Mit diesem Anspruch hat ZEISS als Ergänzung zu den schon bestehenden Supreme Prime Radiance die Supreme Zoom Radiance entwickelt. Beide zeichnen sich durch konsistente blaue Flares und eine wärmere Farbwiedergabe aus. Wir sprachen für unsere Ausgabe 4.2025 mit Staff Expert Optical Design Benjamin Völker und Benjamin Hagen, Head of Marketing Cinema Lenses bei ZEISS und haben erfahren, wie die Entwicklung der Radiance Zooms ablief sowie welche Herausforderungen dabei zu meistern waren.
Foto: ZEISS
Benjamin, ihr habt schon 2019 die Supreme Prime Radiance als Variante der Supreme Primes auf den Markt gebracht. Was hat euch dazu bewogen, nach dieser Objektivserie nun auch Radiance Zooms zu entwickeln? Benjamin Völker: Der Erfolg der Supreme Prime Radiance war der entscheidende Faktor. Mit diesen Objektiven sind wir bewusst ein Risiko eingegangen, weil wir erstmals von unserem bisherigen Ansatz abgewichen sind: Anstatt Lens Flares als unerwünschtes optisches Artefakt zu betrachten, haben wir sie als kreatives Stilmittel in die Objektive integriert. Die positiven Rückmeldungen und die Nachfrage nach den Primes haben uns dann zur zweiten Serie geführt.
Ausgehend davon haben wir uns dann gefragt, wie man das noch steigern könnte – und da bieten Zooms eine zusätzliche Komponente, nämlich dass die Flares sich mit der Brennweite ändern, was eine ganz neue visuelle Komponente eröffnet. In dieser Form gab es das bisher nicht am Markt. Natürlich haben auch andere Hersteller Ansätze entwickelt, um Flares gezielt zu nutzen, aber unser Konzept unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von der Konkurrenz.
Wie genau unterscheidet sich denn euer Ansatz von dem anderer Hersteller Benjamin Völker: Vor den Radiance-Objektiven galten Lens Flares in der Optik traditionell als „Fehllicht“, also als etwas, das man eigentlich vermeiden will. Gleichzeitig haben wir aber aus der Branche immer wieder gehört, dass für bestimmte Projekte genau diese Effekte gewünscht sind. Seit mindestens zehn Jahren gibt es einen starken Trend, neben hochkorrigierten modernen Optiken auch Vintage-Objektive einzusetzen, um einen bestimmten Look zu erzeugen.
Die Idee hinter den Radiance Primes war daher, unseren Supreme Primes eine zusätzliche, charakterstarke Option zu geben: ein Werkzeug, das weiterhin scharfe Bilder liefert, aber zusätzlich über einen markanten Flare-Look verfügt.
Im Testraum bei ZEISS in Oberkochen: Benjamin Hagen und Benjamin Völker (v. l.) sowie das Supreme Zoom Radiance 20-80 mm (Fotos: Uwe Agnes)
Um diesen Look gezielt zu entwickeln, haben wir eine umfangreiche Studie durchgeführt. Wir sind zu den Rental-Häusern gegangen und haben uns die Vintage-Optiken genau angesehen, die besonders nachgefragt waren, um herauszufinden, wo die Schlüsselunterschiede zu heutigen Objektiven sind und welche optischen Merkmale sie so besonders machen. Ein Schlüsselmerkmal, das dabei zutage trat, war der charakteristische blaue Flare, den wir dann bewusst in unsere Beschichtungstechnologie integriert haben.
Dabei ging es uns um zwei Dinge: Zum einen wollten wir eine präzise steuerbare, ästhetische Flare-Signatur erzeugen. Zum anderen war es unser Ziel, dem Bild einen wärmeren Grundton zu verleihen, da wir festgestellt haben, dass viele Cinematografen diesen Look bevorzugen. Unsere klassischen Objektive sind eher neutral abgestimmt – mit Radiance haben wir bewusst eine wärmere Farbwiedergabe realisiert, um eine weitere kreative Option anzubieten.
Wie seid ihr bei der Entwicklung der Radiance-Zoom-Objektive vorgegangen? Dort sind ja noch wesentlich mehr optische Oberflächen im Spiel. Benjamin Völker: Genau. Das Problem ist wirklich, dass wir bei den Zoom-Objektiven mit sehr vielen optischen Oberflächen arbeiten – und damit auch sehr viel falsch machen können! Schon bei den Supreme Primes haben wir Simulationsmethoden entwickelt, um Lens Flares vorherzusagen. Als ich vor fast zwölf Jahren hier angefangen habe, war das noch ein relativ unerforschtes Gebiet. Objektive wurden gebaut und erst dann hat man gesehen, was passiert. Man hatte nur sehr einfache Methoden, um ungefähr abzuschätzen, wie sich Flares verhalten würden.
Mit den neuen Simulationsmethoden konnten wir virtuelle Prototypen erstellen, verschiedene Beleuchtungssituationen durchspielen und sehen, wie sich das auswirkt. Irgendwann waren wir an dem Punkt, das reproduzieren zu können und haben das Verfahren dann auch genutzt, um zum Beispiel bei den Supreme Primes die Flares zu reduzieren.
Mit diesem Toolset konnten wir dann aber auch für jede einzelne Fläche im Objektiv vorhersagen, wie sie mit anderen Flächen interagiert. Das war der Schlüssel für die Radiance-Serie: Wir konnten gezielt bestimmte Flächen auswählen und modifizieren, um die charakteristischen Flares der Radiance-Optiken zu erzeugen.
Ihr habt also das bei euch im Haus entwickelte Toolkit genutzt, um in Richtung Zoom-Objektive zu gehen. Benjamin Völker: Ganz genau. Dazu kommt, dass die Richtung bei herkömmlichen Anti-Reflex-Beschichtungen klar vorgegeben ist. Sie sollen immer besser werden, das heißt, die Reflektivität wird konsequent gesenkt. Bei den Radiance-Objektiven war die Herausforderung jedoch eine andere, denn wir wollten gezielt Farbe ins Spiel bringen. Konkret bedeutet das, dass wir in bestimmten Spektralbereichen bewusst die Reflexion verstärken mussten, um die charakteristische blaue Färbung zu erzeugen. Das war eine ganz neue Denkweise.
Die spannende Frage dabei war: Wie weit kann, darf oder sollte man gehen? Dabei habe ich etwas gelernt, was ich vorher so nicht auf dem Schirm hatte. Es ist nämlich viel schwieriger, gezielt Artefakte einzubauen, als sie zu minimieren. Denn wenn es darum geht, Reflexionen zu reduzieren, weißt du genau, wo du hinwillst. Wenn du sie aber bewusst erzeugen möchtest, musst du gestalterisch entscheiden, wie sie aussehen und wirken sollen.
Genaue Vorhersage: Die Simulation oben und das tatsächliche Flare-Verhalten des Prototypen unten waren nahezu identisch. (Fotos: ZEISS)
Also eine eher kreative als rein technische Entscheidung. Benjamin Völker: Absolut! Es gibt da definitiv einen subjektiven Aspekt. Wir haben uns intensiv umgeschaut, die Canon K-35-Objektive und alte Kowa-Optiken betrachtet und natürlich auch unsere eigenen Superspeed-Objektive untersucht. So bekommt man ein Gefühl dafür, was ein „gutes“ Level an Flares ist. Aber das in moderne Objektive zu übertragen, die deutlich mehr Linsenelemente haben, war eine echte Herausforderung.
Die Radiance-Zooms mussten vom Flare-Konzept ja zu dem passen, was ihr zuvor mit den Festbrennweiten entwickelt habt. Wie seid ihr vorgegangen, um einen einheitlichen Look über die gesamte Objektivfamilie hinweg zu gewährleisten? Benjamin Völker: Der Familiengedanke spielt tatsächlich eine große Rolle, sowohl bei den Primes als auch bei den Zooms. Unser Ziel war es, eine einheitliche Bildästhetik über die gesamte Serie hinweg zu schaffen, von der kleinsten bis zur größten Brennweite. Der große Unterschied liegt natürlich in der Natur der Optiken. Festbrennweiten sind in dieser Hinsicht einfacher zu handhaben. Ein Zoom-Objektiv hingegen ist, vereinfacht gesagt, eine unendliche Anzahl von Festbrennweiten in einem einzigen Gehäuse.
Das sind sehr viele Festbrennweiten. Benjamin Völker: Vielleicht nicht buchstäblich unendlich, aber es sind eben keine fest definierten Sprünge, sondern ein kontinuierlicher Übergang. Das macht einen riesigen Unterschied: Wenn du beispielsweise mit 27 mm drehst und dann auf 29 mm gehst, kann das bereits eine deutliche Veränderung bei den Flares bewirken.
Das liegt daran, dass Zoom-Objektive extrem komplex aufgebaut sind. Um optische Fehler wie etwa Breathing zu minimieren, bewegen sich nicht nur eine, sondern gleich mehrere Linsengruppen innerhalb des Objektivs – oft in unterschiedliche Richtungen. Dadurch verändert eine kleine Anpassung der Brennweite eine ganze Reihe von Parametern im Inneren der Optik, was sich dann wiederum sichtbar auf das Bild auswirkt. Genau das macht Zoom-Objektive so faszinierend: Wenn du beispielsweise von 50 mm auf 30 mm zoomst, sieht es aus, als würdest du durch eine Reihe von unterschiedlichen Festbrennweiten wechseln. Das war genau der Effekt, den wir erzielen wollten.
Das klingt komplex. Wie habt ihr das technologisch in den Griff bekommen? Habt ihr einfach euer bestehendes Toolkit genommen und mehr gerechnet? Benjamin Völker: Zum Teil ja, aber es ging nicht nur darum, einfach mehr zu rechnen. Wir mussten die Methoden weiterentwickeln und optimieren, weil das Problem mit den Zooms eine zusätzliche Komplexitätsebene mit sich brachte. Zum Glück hatten wir durch die Entwicklung der Primes schon einen wertvollen Wissensschatz.
Wir wussten also, welche Flächenkombinationen gut funktionieren und konnten gezielt optimieren. Dennoch mussten wir unzählige Kombinationen analysieren, um sicherzustellen, dass es keine unerwarteten Probleme gibt.
Gerade am Anfang war es alles andere als ein Selbstläufer. Es war nicht einfach eine Frage von „Wir nehmen, was wir schon haben, und skalieren es hoch.“ Wir mussten uns intensiv damit auseinandersetzen, wie sich die zusätzlichen Variablen der Zooms auswirken, und das war ein deutlich komplexerer Prozess als bei den Primes.
Irgendwann haben dann die Ergebnisse eurer Berechnungen zum Bau von realen Prototypen geführt. Wie nah lagen die tatsächlichen Ergebnisse an den berechneten Vorhersagen? Benjamin Völker: Sehr nah! Das ist ein Bereich, in dem wir mittlerweile eine hohe Präzision erreicht haben. Die Radiance-Linie basiert stark auf Glas-Glas-Reflexionen, und die lassen sich ziemlich exakt simulieren, weil der Lichtverlauf genau berechenbar ist. Ein Lichtstrahl trifft auf eine Fläche, wird in einem bestimmten Winkel reflektiert, trifft auf die nächste Fläche, wird wieder reflektiert – bis er schließlich auf den Sensor trifft. Da wir unsere Beschichtungen selbst entwickeln und daher genau wissen, wie sie sich bei unterschiedlichen Einfallswinkeln verhalten, können wir diese Prozesse sehr genau vorhersagen.
Wenn es dann doch Abweichungen gab, lag das eher an Fertigungstoleranzen. In manchen Fällen konnten wir durch eine Analyse der Abweichungen sogar Produktionsfehler identifizieren. Überraschungen gab es dabei kaum noch.
DoP Markus Förderer drehte bereits mit den ZEISS Supreme Zoom Radiance: Filmstill aus „My View“ (Foto: Markus Förderer)
Wie lange dauert es, die Flares bei einem Zoom komplett durchzurechnen? Benjamin Völker: Das hängt stark von der verfügbaren Rechenleistung ab. Wir haben teilweise mit 200 CPUs parallel gerechnet und selbst dann konnte eine Berechnung mehrere Tage dauern. Das liegt daran, dass wir nicht nur eine einzelne Zoom-Stellung analysieren, sondern eine ganze Reihe von Parametern durchspielen müssen, nämlich die unterschiedlichen Brennweiten, verschiedene Blendenstufen oder unterschiedliche Beleuchtungsszenarien und Farbtemperaturen.
Die Objektive sind zwar noch nicht offiziell auf dem Markt, aber welches Feedback habt ihr bekommen? Benjamin Hagen: Die Resonanz war durchweg positiv – besonders was den Look betrifft. Viele kennen diesen Look ja bereits von den Festbrennweiten, aber dass es nun ein Zoom-Objektiv mit dieser Ästhetik gibt, ist für die meisten eine echte Überraschung.
Das bestätigt auch, was Benjamin vorhin gesagt hat: Ein Zoom mit diesen optischen Eigenschaften
gab es so bislang nicht. Früher waren solche Flare- und Reflexionseffekte in Zooms ein unerwünschtes Nebenprodukt. Das war einfach eine technische Limitierung im Optikdesign. Heute sprechen wir von einem „Vintage-Look“, aber die Objektive wurden damals ja nicht bewusst mit den Vintage-Effekten gestaltet, sondern das war einfach das, was seinerzeit technologisch machbar war.
Jetzt haben wir eine völlig neue Kombination: die Flexibilität eines Zooms mit einem sehr charakteristischen Look. Besonders begeistert sind die Leute auch von dem sanften „Durchfahreffekt“. Ich vergleiche das gerne mit einem See, auf dessen Oberfläche es zu regnen beginnt – diese kreisförmigen Wellenbewegungen. Oder auch mit einer Schallwelle, die sich ausbreitet. Dieser Effekt beim Zoomen ist einzigartig.
Benjamin Völker: Wo du gerade das Feedback ansprichst: Das war tatsächlich auch für mich ein besonderer Moment. In der Simulation haben wir natürlich gesehen, dass sich das Flare-Verhalten über die Brennweiten hinweg verändert. Aber Simulationen sind letztlich nur Standbilder – selbst wenn man 30 verschiedene Brennweiten durchrechnet, bleibt es eher ein Daumenkino. Als ich dann das erste Mal am echten Prototypen stand und das Objektiv durchgezoomt habe, war das schon ein besonderer Moment, weil man sieht: „Okay, das funktioniert in der Praxis wirklich genau so, wie wir es uns vorgestellt haben – und es sieht verdammt cool aus!“ [15537]