Im dritten und letzten Teil zum Thema „Das gesetzte Interview“ in unserer neuen Rubrik „Setwissen“ befassen wir uns mit den Themen Blickrichtung, Multi-Kamera, Kamerabewegungen und Wahl der Objektivbrennweite.
Foto: Rainer Nimtz
Eyeline
Der Blickkontakt der interviewten Person, die bei den englischsprachigen Kollegen als Eyeline bezeichnet wird, ist ein wichtiges Element bei dokumentarischen Interviews. Die Ausrichtung des Blicks beeinflusst maßgeblich, wie authentisch und nahbar das Gespräch auf die Zuschauer wirkt.
In einem klassischen dokumentarischen Interview schaut die befragte Person meist leicht an der Kamera vorbei, direkt auf eine außerhalb des Bildes sitzende Person, die die Interviewfragen stellt. Dadurch wirkt es, als würden beide ein wirkliches Gespräch führen. Gleichzeitig ermöglicht diese leichte Drehung von der Kamera weg ein attraktiveres Licht-Setup mit einer seitlich gesetzten Hauptlichtquelle.
Der beste Effekt wird erzielt, wenn die Interviewerin oder der Interviewer nahe an der Kamera sitzt, aber gerade so weit entfernt, dass die Person natürlich in Richtung der Kamera blickt, ohne direkt hinein zu schauen.
Bei Interviews mit mehreren Personen ist es sinnvoll, die Eyeline von Gespräch zu Gespräch zu variieren. Dazu wird die Position der Interviewerin oder des Interviewers auf die jeweils andere Seite der Kamera verlagert. Diese unterschiedlichen Blickrichtungen schaffen beim Schnitt eine visuelle Dynamik und lassen die Interviews so wirken, als würden die befragten Personen miteinander sprechen.
Direkt ins Objektiv
Soll die interviewte Person direkt ins Objektiv schauen, um das Publikum direkt anzusprechen, kann das für sie durchaus einschüchternd sein, vor allem, wenn die Person nicht daran gewöhnt ist, in die Kamera zu sprechen. Hierfür wurde vom Dokumentarfilmer Errol Morris mit dem Interrotron ein spezielles Interview- und Kamera-Setup entwickelt, das eine direktere Verbindung zwischen dem Interviewer und der interviewten Person schaffen soll. Das Setup besteht aus zwei Telepromptern und zwei Kameras. Die erste Kamera ist auf die interviewte Person gerichtet und filmt sie. Die zweite Kamera ist auf den Interviewer gerichtet und zeigt dessen Gesicht auf einem Teleprompter, den die interviewte Person sieht. Dadurch sieht die interviewte Person das Gesicht des Interviewers direkt im Teleprompter und blickt gleichzeitig in die Kamera. Ein ähnliches Hilfsmittel ist das EyeDirect, das auf Spiegeln basiert und denselben Effekt erzeugt.
Multi-Kamera
Weil dokumentarische Interviews meist nicht geskriptet sind, wird oft mit mehreren Kameras gearbeitet, um beim Schnitt mehr Spielraum zu gewinnen. Beim sogenannten Stacking wird eine zweite Kamera direkt über oder unter der Hauptkamera platziert, um einen alternativen Bildausschnitt zu erzielen, ohne die Blickrichtung zu verändern. Aufnahmen in einer höheren Auflösung als das Ausgabeformat erlauben auch mit nur einer Kamera unterschiedliche Einstellungsgrößen mittels digitalem Hineinzoomen.
Eine weitere Kamera kann auch seitlich aufgestellt werden, um die Person im Profil zu zeigen. Wichtig ist, dass beide Kameras auf derselben Seite der Eyeline bleiben, damit die Blickrichtung beim Schnitt nicht springt.
Um beim Dreh Zeit zu sparen, kann eine zusätzliche Kamera Details wie die Hände der Person, die Umgebung oder thematisch relevante Objekte aufnehmen, um für den Schnitt mehr Optionen für Übergänge und Bildmontagen zu schaffen. Auch das ist mit nur einer Kamera möglich, etwa durch das Nachfilmen von Gesprächssituationen oder das Wiederholen bestimmter Bewegungen, jedoch nur mit erhöhtem zeitlichen Aufwand.
Objektivwahl
Für dokumentarische Arbeit sind Zoom-Objektive oft die erste Wahl, weil sie flexibel sind und es ermöglichen, den Bildausschnitt während des Gesprächs unauffällig zu verändern. Mit einem Zoom-Objektiv lassen sich Bildkompositionen schnell anpassen, auch während die Fragen gestellt werden. Manche Kameraleute bevorzugen allerdings Festbrennweiten, da diese lichtstärker, leichter und kompakter sind.
Weitwinkel-Objektive nahe am Gesicht erzeugen ein Gefühl der Intimität, können aber auch als bedrohlich empfunden werden oder die Gesichtszüge der interviewten Person verzerren. Ein leichtes Teleobjektiv aus größerer Distanz komprimiert den Hintergrund und wirkt natürlicher, kann aber das Gesicht flacher wirken lassen.
Ein 100-mm-Objektiv aus drei Metern Entfernung erzeugt ein anderes Gesichtsfeld als ein 24-mm-Objektiv aus einem Meter Entfernung. Hier gilt es, die richtige Balance für das jeweilige Gesicht und den gewünschten Look zu finden.
Kamerabewegung
Kamerabewegungen während eines Interviews können für ein lebendigeres Bild sorgen. Kleinere Bewegungen lassen sich mit einem Slider oder einem kleinen Jib-Arm realisieren. Wird aus der Hand gedreht, kann das einen authentischen, unmittelbaren Look erzeugen, erfordert aber gerade bei längeren Interviews eine hohe körperliche Belastbarkeit. Denn längere Handkamera-Aufnahmen mit teils schweren Kameras sind nun einmal ermüdend. Daher lohnt es sich oft, über Alternativen wie ein Gimbal nachzudenken. [15546]
Spickzettel: Eyeliner, Kameraperspektiven und Kamerabewegungen
Eyeline
leicht an der Kamera vorbei blicken für einen natürlichen Gesprächseffekt
bei mehreren Personen die Eyeline von Interview zu Interview wechseln
Direkter Blick in die Kamera am besten mit Hilfsmitteln wie Interrotron oder EyeDirect
Kameraperspektiven
zweite Kamera für mehr Spielraum im Schnitt nutzen
dabei Achsensprünge vermeiden
Stacking für verschiedene Bildgrößen
Objektive
Zoom-Objektiv für Flexibilität
Festbrennweiten für mehr Kontrolle und Lichtstärke
Weitwinkel für Nähe, Tele für Kompression des Hintergrunds
Kamerabewegungen
Slider, Jib oder Handkamera für mehr Dynamik
Vorsicht bei langen Handkamera-Einsätzen: körperliche Belastung beachten
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Kommentare zu diesem Artikel
Gerard de Boer
Schöne Übersicht. Nur der Hinweis “Eine weitere Kamera kann auch seitlich aufgestellt werden, um die Person im Profil zu zeigen” ist nicht sehr hilfreich. Als Kameramann finde ich diese Kameraposition bei einem normalen Interview (irgendwo vor Ort) eher unnatürlich. Der Interviewer stellt sich nicht plötzlich neben den Interviewten…. Bei einer Fernsehstudioübertragung kann man zur Abwechslung mal einen solchen Kamerawinkel wählen. Zum Beispiel wenn mehrere Studiogäste zusammensitzen und zuhören. .
danke für den Kommentar. Das Schöne an unserer Arbeit ist ja, dass es nicht die eine Lösung gibt. Es hängt natürlich immer von der aktuellen Situation ab. Gerade wenn man in aktuelle Netflix-Dokumentationen reinblickt, findet man ganz neue und spannende Einstellungen.
Die Suche nach neuen und spannenden Perspektiven ist natürlich in Ordnung. Und ich stimme Ihnen zu, dass es nicht die eine Lösung gibt. Die Grenze liegt meiner Meinung nach dort, wo die Lösung unlogisch oder verwirrend wird. Auch in meinem Land, den Niederlanden, ist die seitliche Aufnahme der Interviewten im Trend.
Es besteht die Möglichkeit, dass sie vom Gesagten ablenkt. Manchmal ist die Aufnahme auch zu nah, was der Ästhetik nicht zuträglich ist. Aber zugegeben, wir haben einen schönen Beruf mit viel Freiheit.
Ich bin als Teenager mit Sendungen wie der Starparade des ZDF aufgewachsen, in denen ein Ballett oft mit nur zwei Kameras gefilmt wurde. Der Vorteil ist, dass die Choreografie nicht verloren geht, im Gegensatz zu einer Aufnahme mit sechs Kameras, bei der der Regisseur mit der künstlerischen Leistung des Balletts selbst konkurrieren möchte…
Das heißt nicht, dass ich nicht gerne als Kameramann bei einer Sendung wie „Frensehgarten“ arbeiten würde. Gelegentlich gerät die Regie aus dem Takt, aber die handwerkliche Arbeit des Kamerateams ist nicht nur gut, sondern auch unterhaltsam anzusehen.
Eine solche Kameraführung sieht man im niederländischen Fernsehen selten.
Schöne Übersicht. Nur der Hinweis “Eine weitere Kamera kann auch seitlich aufgestellt werden, um die Person im Profil zu zeigen” ist nicht sehr hilfreich. Als Kameramann finde ich diese Kameraposition bei einem normalen Interview (irgendwo vor Ort) eher unnatürlich. Der Interviewer stellt sich nicht plötzlich neben den Interviewten…. Bei einer Fernsehstudioübertragung kann man zur Abwechslung mal einen solchen Kamerawinkel wählen. Zum Beispiel wenn mehrere Studiogäste zusammensitzen und zuhören. .
Lieber Herr de Boer,
danke für den Kommentar. Das Schöne an unserer Arbeit ist ja, dass es nicht die eine Lösung gibt. Es hängt natürlich immer von der aktuellen Situation ab. Gerade wenn man in aktuelle Netflix-Dokumentationen reinblickt, findet man ganz neue und spannende Einstellungen.
Filmische Grüße
Sven Kubeile
Sehr geehrter Herr Kubeile,
Die Suche nach neuen und spannenden Perspektiven ist natürlich in Ordnung. Und ich stimme Ihnen zu, dass es nicht die eine Lösung gibt. Die Grenze liegt meiner Meinung nach dort, wo die Lösung unlogisch oder verwirrend wird. Auch in meinem Land, den Niederlanden, ist die seitliche Aufnahme der Interviewten im Trend.
Es besteht die Möglichkeit, dass sie vom Gesagten ablenkt. Manchmal ist die Aufnahme auch zu nah, was der Ästhetik nicht zuträglich ist. Aber zugegeben, wir haben einen schönen Beruf mit viel Freiheit.
Ich bin als Teenager mit Sendungen wie der Starparade des ZDF aufgewachsen, in denen ein Ballett oft mit nur zwei Kameras gefilmt wurde. Der Vorteil ist, dass die Choreografie nicht verloren geht, im Gegensatz zu einer Aufnahme mit sechs Kameras, bei der der Regisseur mit der künstlerischen Leistung des Balletts selbst konkurrieren möchte…
Das heißt nicht, dass ich nicht gerne als Kameramann bei einer Sendung wie „Frensehgarten“ arbeiten würde. Gelegentlich gerät die Regie aus dem Takt, aber die handwerkliche Arbeit des Kamerateams ist nicht nur gut, sondern auch unterhaltsam anzusehen.
Eine solche Kameraführung sieht man im niederländischen Fernsehen selten.
Mit freundlichen Grüßen!
Gerard de Boer