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Interview mit Kameramann und Regisseur Jan Haft

Nie wie im Drehbuch

Der Natur- und Tierfilmer Jan Haft zeigt in seinen Filmen den Facettenreichtum der Natur genauso wie das durch den Menschen verursachte Artensterben. Beim NaturVision Filmfestival in Ludwigsburg gewann er mit dem Eröffnungsfilm “Der Bach” den Publikumspreis. In unserer Ausgabe 11.2019 sprach er mit uns darüber, wie er seine Unterwasser-Aufnahmen realisiert und welche Rolle der Zufall bei seinen Filmen spielt. 

Unterwassereinsatz: Die Sony F55 im Gates-Gehäuse (Bild: Tobias Friedrich)

Viele Ihrer Filme beschäftigen sich mit heimatlichen Lebensräumen für Tier und Natur. Was ist Ihre Intention dahinter?
Unsere Filmthemen stammen aus den Lebensräumen weltweit, aber ein besonderes Augenmerk haben wir auf die heimische Natur gerichtet, weil wir schon als Kinder nahe unserer Haustür Vögel beobachtet, Käfer gefangen und Federn gesammelt und viel von dem Wissen zusammen getragen haben, von dem wir heute zehren. Sicher ein großer Glücksfall für mich war, dass ich vor fast 20 Jahren auf den Naturfilm-Chef bei Studio Hamburg Jörn Röver stieß, der stets ein offenes Ohr für außergewöhnliche Ideen und Interesse an heimischen Produktionen hatte. Damals waren vor allem die aufwendigeren Auslandsproduktionen mit langen Drehzeiten und größeren Budget ausgestattet, so blieben für die Filme aus den heimischen Regionen nicht mehr so viele Mittel. Zusammen mit Jörn Röver, aber auch mit anderen Redaktionen der ARD-Anstalten und in Koproduktion mit ARTE, ORF, SVT und weiteren europäischen Partnern gelang es uns, größere Budgets in Produktionen aus heimischen Regionen zu stecken, diese also mit mehr Drehtagen und einem größeren Equipment auszustatten – und hatten damit Erfolg.

Sie fangen immer wieder spektakuläre oder ungewöhnliche Szenen ein. Welche Rolle spielt der Zufall?
Eine exakte Recherche und gute Planung ist für Natur- und Tierfilme unabdingbar, aber Glück gehört auch dazu. Wie ich die tragenden Eckpfeiler meines Films garantieren kann, muss ich wissen. Sicher, es kann immer mal etwas schief laufen, sei es wegen des Wetters oder anderer Effekte. Manchmal kommen verschiedene Dinge zusammen, so dass eben keine Fische zum Laichen aufsteigen. Starkregen mit Hochwasser, Trockenheit, ein Erdrutsch, alles Mögliche kann passieren. Aber meist kann ich so weit recherchieren, dass ich alle Szenen, die ich benötige, auch wirklich vor die Linse bekomme. Im Glücksfall passieren zusätzliche Dinge, wenn etwa ein interessantes Tier hinzukommt oder ein anderes ein seltenes Verhalten zeigt. Deswegen sieht ein guter Tierfilm am Ende nie exakt so aus wie das Drehbuch. Ein Naturfilm ist wie ein Traumspaziergang. Klar, es gibt die Realität, alles ist echt, passiert wirklich, aber ich kann mich wie im Traum frei bewegen und hineintauchen.

Dass Sie mit Ihrem Team an einem Bach drehten, der gerade durch Gift verseucht wurde, geriet fast zu einem Alptraum.
Diese Umweltkatastrophe in dem Bach war dramaturgisch ein Segen für uns. Wohlgemerkt nur dramaturgisch gesehen, denn es war eine echte Umweltkatastrophe! Wenn wir nicht am Sonntagmorgen um 5.00 Uhr an diesem Bach gewesen wären, um Zaunkönige zu filmen, hätten wir das nicht entdeckt. Wir haben sofort die Polizei verständigt, so dass der Bach abgesperrt und ausgepumpt werden konnte, um Schlimmeres zu verhindern.

Sie sind mit der Kamera immer wieder hautnah dabei, wenn die Tiere sich paaren, sich um ihre Junge kümmern, Eier ausbrüten oder sich gegen ihre Rivalen oder Feinde wappnen. Wie natürlich sind diese Szenen?
Wenn man in der Natur zu sehr eingreift, läuft das natürliche Verhalten nicht mehr ordentlich ab, weil man stört. Natürlich: ein Tierfilmer, wie jeder Mensch der durch den Wald streift, ist zunächst einmal eine Störung für die Tiere. Die Rehe schauen auf, der Eichelhäher schimpft. Aber einmal am Drehort angekommen versteckt man sich. Viele Tiere haben nur überlebt, weil sie scheu waren. Es ist wichtig, sich ganz unauffällig zu verhalten, ansonsten sehe ich die Tiere nur von hinten. Wenn ich mit der Kamera ganz nahe dabei sein will, etwa bei Jungenaufzucht oder Sozialverhalten, muss ich mich selbst und die Kamera so gut verstecken, dass die Tiere nichts davon bemerken. Bevor ich loslegen kann gibt es aber noch mehr zu tun: Wenn ich in die Nester von kritisch bedrohten Wiesenvögeln schauen will, die ganz oben auf der Roten Liste stehen und völlig zu verschwinden drohen, muss ich dafür erst eine behördliche Genehmigung, also eine naturschutzrechtliche Befreiung, einholen. Wir drehen in solchen Fällen nie einfach drauf los. Beim großen Brachvogel aus dem Film „Die Wiese“ haben wir dann getarnte Mini-Kameras direkt ins Nest eingebaut. Prompt hat sich die Vogelmutter darauf gesetzt und gebrütet.

Lassen sich solche Szenen ganz aus der Nähe nur mit Remotekameras realisieren?
Der Einsatz von solchen ferngesteuerten Kameras ist im Natur- und Tierfilmbereich unerlässlich, um aus nächster Nähe, mit dem „Fernauge“, dabei zu sein. Aber nicht alle Tiere sind scheu, an manche Protagonisten kann man problemlos ganz nahe heran. Gelegentlich setzen wir Boroskope ein, die an der großen Kamera montiert sind, wodurch eine im Vergleich zu den Remote–Kamerasystemen höhere Datenrate und bessere Qualität garantiert ist. Mit dem Boroskop lässt sich sogar die „Käfer-Perspektive“ auf die Frösche einnehmen, die gerade dabei sind abzulaichen.

Sie gehen selbst auf Tauchgänge bei Unterwasseraufnahmen. Welches Equipment ist erforderlich? Sind Sie stets in Begleitung? Und wie lange können Sie bei einem Tauchgang filmen?
Getaucht wird immer zu zweit, denn beim Tauchen ist man abgeschnitten von der Restwelt. Falls etwas passiert, ist man nicht allein. Allerdings trennen sich die Taucher unter Wasser auch, um verschiedene Aufgaben zu übernehmen. Ich tauche gerne mit dem Unterwasserphotographen Tobias Friedrich, der für die Zeitrafferaufnahmen sorgt, während ich mit der Filmkamera die Tiere, Pflanzen und die Unterwasserlandschaft filme. Es verhält sich dabei unter Wasser prinzipiell nicht anders als auf Land. Wenn ich nur auf eine Stippvisite komme, mit der Kamera kurz über ein paar Motive schwenke, erhalte ich kein herausragendes Ergebnis. Wenn ich wirklich Naturgeschichte erzählen will, muss ich mit einem gewissen Aufwand Bilder sammeln, die dem gerecht werden und vielleicht auch etwas zeigen, was so noch nicht zu sehen war. Dafür muss ich genau im Vorfeld planen und brauche aber immer auch ein Quäntchen Glück. Denn wir haben nicht unendlich viele Drehtage zur Verfügung. Sowohl für den Island-Film als auch für die Dokumentation „Magie der Fjorde“ in Norwegen haben wir sehr viel unter Wasser gedreht, jeweils an mehr als 100 Drehtagen. Alleine für ein bestimmtes Motiv in den Fjorden bin ich an zehn Tagen in Folge jeden Abend herunter gesunken auf 25 Meter Tiefe, wo auf dem Boden leuchtende Seefedern wachsen – eigentlich Tiefseekreaturen, die dort aber im Fjord schon im relativ flachen Wasser vorkommen.

Wie sind die Lichtverhältnisse dort unten? Müssen Sie leuchten?
Ich habe mich erst in der Dämmerung absetzen lassen und auf die Nacht gewartet. Die Augen gewöhnen sich im letzten Dämmerlicht an die Umgebung, die Pupillen weiten sich. Und dann sehe ich die Seefedern leuchten. Diese Seefedern besitzen die Eigenschaft zu fluoreszieren wie auch zu phosphorezieren. Letzteres geschieht, wenn blaues Licht auf sie trifft, welches etwa durch natürliches Mondlicht oder auch durch eine eingesetzte spezielle Blaulichtlampe erzeugt wird. Dann leuchten diese Seefedern nach und geben ein gelbliches Licht ab. Und sie fluoreszieren, wenn sich ein Tier nähert und sie berührt; wohl um Fressfeinde abzuwehren, geben sie dann blaue Lichtblitze ab. Bei einem Tauchgang bin ich gut eine Stunde dort unten. Auf 25 Metern Tiefe braucht man zwar relativ viel Luft, aber wenn ich am Meeresboden liege und mich kaum bewege, wird die Atmung ruhig, so dass ich etwa 60 bis 70 Minuten dort unten verbringen kann.

Mit welchen Kameras/Objektiven drehen Sie bei Ihren Tauchgängen?
Unter Wasser drehe ich meist mit der Sony F55 im Gates-Gehäuse mit einem RAW-Rekorder hinten dran, der die Aufnahmen im X-OCN-Modus aufzeichnet. Die X-OCN-ST-Qualität kann mit dem bloßen Auge nicht von den RAW-Kameradateien der PMW-F55 unterschieden werden, obwohl die Dateien um etwa 30 Prozent kleiner sind. Dabei besitzt die F55 eine Farbtiefe von 16 Bit. Zeitlupen sind in diesem Modus bis 120 fps möglich, was einer Datenrate von 3.000 mbps enstpricht. Aufgezeichnet wird auf zwei Karten mit jeweils einer Kapazität von einer Stunde. Die Auflösung ist 4K, das Material spielen wir direkt nach Dreh auf Festplatten. Dass wir die volle Farbtiefe von 16 Bit nutzen können, ist für Unterwasserdrehs enorm wichtig. Es gibt heute viele Fotoapparate mit Filmmodus, die Canon 1D zum Beispiel, die wir auch schon genutzt haben. Die zeichnet mit einer enormen Datenrate von über 800 Mbit auf und es lässt sich vorher das Canon LogGamma aufspielen, wodurch sich ein großer Kontrastumfang und ein wunderbar weiches Bild ergibt, allerdings nur mit einer Farbtiefe von 8 Bit. Das kann bei der Farbkorrektur hinterher problematisch sein. Wenn ich nicht gerade in einem lichtdurchfluteten Korallenriff tauche, erhalte ich bedingt durch die Lichtverhältnisse unter Wasser häufig bläuliche oder grüne Hintergründe. Wenn ich das Material dann in der Farbkorrektur bearbeite, stellt sich leicht ein Banding ein und es ziehen sich bogenförmige Streifen durchs Bild. Für die Sendeplätze, für die wir arbeiten, will ich durchgängig ein ästhetisches Bild bieten.

Mit welchen Objektiven drehen Sie unter Wasser?
Ich verwende selbstverständlich lichtstarke Linsen. Für den Dreh in Norwegen haben wir uns das “Nocturnus” von Meyer Görlitz zugelegt mit einer Anfangsblende von 0,95. Diese Linse eignet sich nicht nur für Unterwasser an der Sony Alpha 7SII, sondern auch, um etwa dämmerungsaktive Tiere an Land oder Polarlichter in Echtzeit drehen zu können. Eine weitere Linse im Gepäck für diesen Einsatzzweck ist das Otus von Zeiss mit f 1,4, das dank Abbildungsleistung bis zum Rand auch sonst gute Dienste leistet. Unsere Hauptkamera im Wasser ist aber die F55 mit AXS RAW-Rekorder im Gates-Gehäuse und verschiedenen PL-Mount-Objektiven.

Sie arbeiten auch sehr intensiv mit Originalton. In Ihrem Islandfilm haben sie sogar die Herztöne einer Vogelmutter aufgenommen, die ihr frisch geschlüpftes Junges wärmt.
Diese Szene ist ein gutes Beispiel für einen parallel aufgezeichneten Ton. Ich habe ein Sennheiser-Ansteck-Mikro, das für Interviews benutzt wird, etwas umgemodelt und in das Nest einer Falkenraubmöwe hinein geschmuggelt, als die Mutter kurz weggeflogen war. Später konnte ich beim Drehen mithören, wie die Mutter mit dem noch nicht geschlüpften Küken kommunizierte. Zu hören war ein leises “Wiwiwi” und die Mutter antwortete etwas wie “Ja, ich bin da”. Das lief so während des ganzen Schlüpfvorgangs und dient der Mutter-Küken-Bindung.

Ein großes aktuelles Thema ist die Klimakrise. Doch die Naturfilmer weisen ebenso auf das Artensterben hin. Ist der Rückgang der Arten ebenso gravierend wie die Erderwärmung?
Die Sorge um das Klima hat die andere große Sorge um die Erhaltung natürlicher Lebensräume zur Wahrung der Artenvielfalt etwas in den Hintergrund treten lassen. Wir Naturfilmer sehen es als unsere Aufgabe an, zu unterhalten und dabei wissenschaftlich korrekt zu informieren – und auch zu warnen. Denn vielen Lebensräumen und Arten geht es schlecht, auch in heimischen Gefilden. Wir sind davon überzeugt, dass sich der Umgang unserer Gesellschaft mit der Ressource Natur ändern muss, in vielerlei Hinsicht. Zu Zeiten von weltweitem Artenschwund und drohendem Klimawandel brauchen wir mehr wiedervernässte Moore, mehr naturnahe Wälder, mehr Fließgewässer mit breiten Pufferzonen. Kurz: mehr Wildnis, auch wenn es wirklich ursprüngliche Wildnis bei uns kaum mehr gibt. Was wir nach unserer Überzeugung neben mehr Wildnis ebenfalls dringend brauchen, sind naturverträglichere und ressourceschonendere Wirtschaftsformen, vor allem in der Energie- und der Landwirtschaft. Das vielleicht Wichtigste aber ist, dass immer mehr Menschen ihr Herz für die Natur, für die kleinen und großen Tiere, Pilze und Pflanzen entdecken und deren Schutz befürworten und auch einfordern. [10661]

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