DoP Kadri Koop setzt auf eine Handschrift ohne Dogma
Flexibilität als Konstante
von Birgit Heidsiek,
Die estnische Kamerafrau Kadri Koop studierte Dokumentarfilm in Stanford, absolvierte ihre Kameraausbildung am AFI in Los Angeles und drehte ihren ersten Kurzfilm in China. Ihre Arbeiten, darunter Dokus, Spielfilme und Musikvideos, wurden vielfach ausgezeichnet. In Cannes erhielt sie im vergangenen Jahr den Angénieux-Nachwuchspreis. Im Gespräch erklärt sie, wie sie zwischen dokumentarischem Realismus und fiktionaler Bildgestaltung wechselt, warum technische Einschränkungen oft kreative Freiheit fördern und was sie sich von der Regie wünscht.
Foto: David Orantes
Sie haben bisher sehr unterschiedliche Projekte realisiert. Was reizt Sie am meisten?
Kameraleute werden häufig auf einen bestimmten Stil festgelegt und entsprechend besetzt. Dabei zeichnet sich gute Kameraarbeit gerade dadurch aus, sich dem jeweiligen Projekt anzupassen. Genau das schätze ich an meinem Beruf: Er erlaubt mir, zwischen dokumentarischer Handschrift und stilisierten Formaten wie Musikvideos oder Werbespots zu wechseln. Am liebsten arbeite ich an Projekten, die beide Ansätze miteinander verbinden.
Wie sind Sie zur Kameraarbeit gekommen?
Während meines Film- und Literaturstudiums habe ich mich immer mehr für die chinesische Kultur und Sprache interessiert. Mit 22 bin ich dann nach China gegangen und habe an der Universität in Peking studiert. Nebenbei war ich Praktikantin bei einer Firma, die Dokumentarfilme produziert – da habe ich meine ersten Schritte in der Branche gemacht. In dem Viertel, in dem ich damals lebte, habe ich einen Kurzfilm über Straßenverkäufer gedreht. Dieser Film hat mir schließlich die Tür zum Dokumentarfilmprogramm in Stanford geöffnet.
Wie gestaltete sich das Filmstudium in Stanford?
Das Studium dort war sehr praxisorientiert. Im Grunde haben wir kleine Dokumentarfilme komplett selbst produziert. Ich musste alles übernehmen: Ideen entwickeln, drehen, produzieren, schneiden, den Ton aufnehmen. Man ist dabei wirklich ein Ein-Frau-Team. Spezialisierung war kaum möglich, dafür war Multitasking gefragt. Es ist ziemlich anspruchsvoll, jemanden zu interviewen und gleichzeitig im Blick zu behalten, ob sich das Licht verändert, genug Speicherplatz auf der Karte ist und der Ton auch wirklich sauber aufgezeichnet wird.
Was reizt Sie daran, hinter der Kamera zu stehen?
Für mich ist Kameraarbeit der schönste Job am Set, weil ich ganz in die Rolle der Beobachterin schlüpfen kann. Wenn ich durch den Sucher schaue, blende ich alles um mich herum aus. Da ich unbedingt als Kamerafrau arbeiten wollte, habe ich mich am American Film Institute für das Kamerastudium beworben. Ich kenne kein anderes Programm, das sich von Anfang an so konsequent auf Kinematografie konzentriert. In vielen Studiengängen muss man erst allgemeine Fächer wie Filmgeschichte belegen, bevor man sich später spezialisiert.
Das war am AFI anders. Die zweijährige Ausbildung dort war intensiv und kostspielig, aber auch extrem lehrreich. Man lernt das klassische Hollywood-System mit klaren Hierarchien und festen Abläufen kennen. Jeder hat seine Aufgabe und hält sich daran. Für mich war das eine ganz neue Erfahrung, im Team mit Regie und einer großen Crew an einem narrativen Projekt zu arbeiten und dabei auch die gesamte Technik zu durchdringen.
Ist diese kleinteilige Arbeitsteilung ein Vorteil?
Es hat mir gut gefallen, dass beim AFI zwar jeder seine Rolle hatte, wir aber trotzdem im engen Austausch mit den anderen Departments standen. Das ist mir auch heute wichtig. Selbst wenn ich die Kamera führe und über das Bild entscheide, sehe ich die Arbeit immer als Kooperation. Die Art, wie Kameraleute mit der Regie arbeiten, kann sehr unterschiedlich sein. Ich selbst bin da ziemlich flexibel, weil ich gemerkt habe, dass jede Regisseurin und jeder Regisseur einen ganz eigenen Zugang hat. Manche kommen mit einem fertigen 3D-Storyboard zu mir, kennen jede Einstellung schon im Detail und wollen, dass ich das exakt so umsetze. Andere verzichten komplett auf Shotlisten, arbeiten mit Laien statt professionellem Cast und entscheiden sich oft erst am Drehtag für den Drehort. In solchen Fällen muss ich sehr schnell reagieren, besonders beim Licht, und Lösungen spontan entwickeln.
Kommen Ihnen dabei Ihre Erfahrungen aus dem Dokumentarfilmbereich zugute?
Das hilft mir sehr, denn am Set muss man sich ständig auf neue Gegebenheiten einstellen. In dieser Branche muss man sich alle ein, zwei Jahre ein Stück weit neu erfinden. Die Veränderungen kommen immer schneller. Regisseurinnen und Regisseure kommen oft mit einer ganz klaren Vorstellung von ihrem Projekt zu mir, aber dann fehlt plötzlich ein Teil des Budgets, der Drehort ändert sich oder ein Darsteller springt ab. Das bedeutet nicht, dass der Film nicht mehr möglich ist, aber er wird am Ende anders aussehen als ursprünglich geplant.
Gelb auf Rot: Kadri Koop in Cannes (Foto: Pauline Maillet)
Worauf kommt es Ihnen bei der Zusammenarbeit mit der Regie an?
Um besser zu verstehen, wie die Zusammenarbeit mit der Kamera aus Sicht der Regie funktioniert, habe ich selbst einen Kurzfilm geschrieben und auch Regie geführt. Die Kamera hat ein guter Freund von mir übernommen. Das war eine extrem lehrreiche Erfahrung. Ich habe dabei gemerkt, wie viele Entscheidungen die Regie am Set gleichzeitig treffen muss. Manchmal bleibt beim Aufbau einer Szene kaum noch Spielraum, oder es ist schwierig, den gewünschten Blickwinkel überhaupt umzusetzen. Genau da kommt die Kamera ins Spiel und ich sehe es als meine Aufgabe, diese Lücken zu füllen. Es ist viel einfacher, die Regie zu unterstützen, wenn ich die Denkweise dahinter verstehe und konkrete Optionen anbieten kann. Wenn ich eine Einstellung frame, denke ich nicht nur an Bildaufbau und Licht, sondern auch an die Perspektiven der Figuren und daran, wie unterschiedlich ihre Sicht auf die Szene sein könnte.
Welche Rolle spielt für Sie die Technik?
Bei Dokumentarfilmen arbeite ich gerne mit Zoomobjektiven von Angénieux. Sie sind handlich, lichtstark und ideal für Drehs an schwer zugänglichen Orten, die nur zu Fuß erreichbar sind. Da zählt jedes Kilo. Auch beim Kurzspielfilm „Smells Like Kids’ Spirit“ von Regisseurin Aude Pépin, den wir in Südfrankreich gedreht haben, habe ich ein Angénieux Optimo Ultra-Zoom eingesetzt.
Generell arbeite ich am liebsten mit dem vorhandenen Licht und versuche, es nur so weit zu formen oder zu verstärken, dass es stimmungsvoll wirkt, aber nie überinszeniert. Mein Ziel ist eine gewisse Zurückhaltung im Licht, so dass man im Bild nicht sofort erkennt, woher es eigentlich kommt.
Gilt das auch für den Spielfilmbereich?
Bei „A Place in the Field“ war ich zuversichtlich, dass ich den Film mit sehr reduzierter Lichttechnik umsetzen kann. Das Drehbuch sah viele Außenaufnahmen vor und um die Landschaften wirklich wirken zu lassen, entschied sich Regisseurin Nicole Ruben Mejia für ein Cinemascope-Format mit einem Seitenverhältnis von 2,35:1. Gedreht haben wir sieben Wochen lang bei großer Hitze in Arizona, New Mexico und Kalifornien. Für mich war das eine intensive Lernphase: Ich habe viel ausprobiert, Fehler gemacht und daraus gelernt. Gerade was nächtliche Außenaufnahmen und das Arbeiten mit Feuer betrifft, hat sich das angefühlt wie ein ganzes zusätzliches Jahr Filmschule. [15561]