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Jost Vacano im Interview

„Wie würde ich den Film machen?“

Auf dem 29. Camerimage Festival in Torun tauchte er kurz vor Ende gerade noch rechtzeitig  auf, um den Preis für sein Lebenswerk entgegenzu-nehmen. Uns erzählte er darüber hinaus noch für das Heft 3.2022, warum ohne seinen Grundsatzstreit in Urheberrechtsfragen Kameraleute und Editoren heute nicht gemeinsam mit Produktion, Regie und Drehbuch im gleichen Boot sitzen würden.

DoP Jost Vacano mit kreiselstabilisierter ARRIFLEX-Kamera
DoP Jost Vacano und Assistent Peter Maiwald mit der kreiselstabilisierten ARRIFLEX (Foto: Archiv Jost Vacano)

Es braucht einen gehörigen Dickschädel, um sich so lange an einem eigentlich unmöglichen Kameralauf längs durch ein U-Boot zu versuchen, bis er dann eben doch im Kasten ist. Jost Vacano hat in seiner Karriere keine Beule gescheut, egal mit wem er sich dafür anlegen musste: ob mit den Kugelschotts im Boot oder der Bavaria im Urheberrechtsstreit, selbst wenn es ihn seine Ersparnisse aus Hollywood kostete.

Wenn ich damals nicht auf dem Bavaria-Gelände einmal selbst durch diese Metallröhre gelaufen wäre, würde ich heute vielleicht gar nicht in der Branche arbeiten. Den nachhaltigsten Eindruck hat damals aber die Serie auf mich gemacht.
Ursprünglich haben wir ja „Das Boot“ als Kinofilm gedreht. Nebenbei war das Projekt vom WDR ko-finanziert, der eine sechsteilige Serie haben wollte. Erst einmal haben wir einfach nur die Geschichte in sechs Stunden gedreht, ohne dass wir wussten, was davon in die Serie kommt und was in den Kinofilm, der ja viel kürzer war. Zweieinhalb Stunden war das äußerste, also was packt man in den Kinofilm hinein? In erster Linie alles, was spektakulär und teuer war! Der Nachteil daran war, und das wurde dem ursprünglichen Kinofilm ja sehr von der Kritik angekreidet, dass er dadurch so actionlastig ist und dass es auch nicht ganz klar wird, was mit diesen 50 Menschen passiert, die in dem Boot gefangen sind und die nie das Tageslicht sehen.

Dann kommt die Szene, wo sie den Geleitzug entdecken, die Torpedos werden abgeschossen und alle schreien „Hurra“. Da hieß es, das sei die Kriegslüsternheit, das war eher peinlich. Da denkt man, dass es eigentlich ein Film ist, wie ihn vielleicht die Amerikaner hätten machen wollen, was dann aber aus Drehbuchgründen nicht zustandekam. Man hat in dem Kinofilm zu wenig über die Menschen in dem Boot erfahren, zum Beispiel, dass sie drei Monate lang auf dem Meer herumgeschippert sind und nichts passierte. In diese tödliche Langweile kommt der Geleitzug, dann ist das die Freude, endlich ist hier was los! Endlich passiert was – und das war das große Missverständnis des ersten Kinofilms.

Porträt von Jost Vacano
DoP Jost Vacano (Foto: Hans Albrecht Lusznat)

In der Fernsehserie waren natürlich die spektakulären Szenen des Kinofilm ebenfalls enthalten, aber um die sechs Stunden der Serie zu füllen, wurde auch von den Hintergründen der Besatzung erzählt, wo sie herkommen, ihre Gedanken, wie sie da leben. Für mein Gefühl war das schon ein bisschen zu dialoglastig.

Zu seinem 60. Geburtstag bekam Petersen von der Columbia als Geschenk, dass er einen Director‘s Cut machen durfte. Er hat dann in diesen zu kurzen Kinofilm hineingetan, was ihm fehlte. Dieser Director‘s Cut von dreieinhalb Stunden war dann eigentlich der große Erfolg. Wenn man heutzutage über den Film spricht, den alle gesehen haben, dann meinen die meisten den Director‘s Cut.

Serien wie „Das Boot“ oder „Heimat“ von Edgar Reitz sind zu einer Zeit entstanden, als es so etwas wie HBO oder das Label „Qualitätsserie“ noch gar nicht gab. Da waren sie Pioniere.
Richtig, es war auch ein bisschen aus der Zeit. Der Produzent Günter Rohrbach, damals Chef der Bavaria, hat immer gesagt, das sei ein Amphibienfilm, weder Fernsehen noch Kino, irgendwie dazwischen, deckt aber beides ab. Er ist erfolgreich im Kino, und er funktioniert auch als eine sechsteilige Serie. Das war ja noch die Zeit, wo der junge deutsche Film im Fernsehen stattfand. Als „Das Boot“ aufgesetzt wurde, hatte ich mit Wolfgang Petersen nie vorher gearbeitet und wir kannten uns auch persönlich eigentlich gar nicht. Petersen wollte diesen Film mit einem Kameramann machen, mit dem er vorher schon seine Tatorte gedreht hatte, der auch bei der Vorproduktion dabei war, dann aber ausgestiegen ist. Daraufhin sagte Rohrbach zu Petersen: „Jetzt musst du dir den Jost angucken“, denn er wollte mich von Anfang an dabei haben. Das Projekt „Das Boot“ kannte natürlich jeder in Deutschland, und es wäre das Karrieresprungbrett überhaupt gewesen. Wolfgang Petersen und ich merkten, dass wir gut miteinander zurecht kamen. Uns war aber auch klar: Wir müssen zurechtkommen!

Meine Arbeit für diesen Film hat begonnen, lange bevor wir angefangen haben zu drehen. Petersen und Rohrbach sagten: „Jost, wir machen hier einen ganz großen Film, das ist der teuerste Film, der in Deutschland je gemacht worden ist, und der kann kommerziell nur funktionieren, wenn es ein weltweiter Erfolg ist. Das muss aussehen wie Hollywood!“ Da habe ich viele Selbstgespräche geführt, du hast noch nie einen U-Boot-Film gemacht, traust du dir denn das eigentlich zu, obwohl dein Stil eigentlich realistisch ist und ein bisschen ins Dokumentarische zielt ? Ich habe nachts nicht mehr geschlafen und überlegt, wie machst du das denn jetzt? Wie würde ich den Film machen?

„Das Boot“: Jost Vacanos Kameraläufe durch die Schotts waren prägend für den Look der Produktion. (Foto: Archiv Jost Vacano)

Das ist die Geschichte von einem jungen Kriegsberichterstatter, der auf dieses Boot geschickt wird und irgendetwas Heroisches abliefern muss. Der sitzt nun in diesem Boot und erlebt mit, wie wenig heroisch der Überlebenskampf dieser Menschen darin ist. Was würde ich denn dann machen? Ich würde das beinahe wie einen Dokumentarfilm erzählen! Ich würde auch keine Wände herausnehmen. Das Boot war natürlich so gebaut, dass man überall die Sprungwände herausnehmen konnte, damit man Platz zum Drehen hat. Aber eigentlich müsste ich das Geschehen mit der Kamera aus der Hand unmittelbar miterleben, den Zuschauer miterleben lassen, der genauso wie die Kamera vorher nichts weiß und genauso entsetzt ist und leidet, in Panik gerät und um sein Leben fürchtet.

Ich hatte schon seit längerer Zeit ein Kreiselstabilisierungssystem verwendet, also wusste ich auch, wie man es einsetzt, damit das Wackeln der Handkamera nicht störend ist. Ich finde, eine Handkamera darf nicht so sein, dass das Bild so sehr im Kino wackelt, dass die Leute rausgehen, weil es ihnen schlecht wird, aber es muss etwas Menschliches haben. Es ist schöner, wenn man an der Kamera ganz sanft noch Schritt, Schritt, Schritt spürt. Unauffällig, unter der Wahrnehmungsschwelle, aber trotzdem spürbar, wie eine menschliche Bewegung. [15064]


Sie möchten mehr erfahren? Hier geht es zum kompletten Interview mit Jost Vacano!


 

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