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Corona-Krise: die Situation der Kinos

Filmstau und Tabubrüche

Der Einfluss der Corona-Pandemie auf die Kinos begann ganz harmlos mit der Startverschiebung des neuen Bond-Films auf November. Seit Mitte März sind die jedoch die Kinos in Deutschland flächendeckend geschlossen, das lukrative Ostergeschäft fällt komplett flach. Margret Köhler hat sich bei Betreibern und Verleihern umgehört.

Dass die Kinos in Deutschland schließen mussten, kam nicht unbedingt überraschend. Die Unsicherheit darüber, wie es nun weitergehen soll ist jedoch groß. Das lukrative Ostergeschäft fällt völlig aus. Kinobesitzer und Verleiher rechnen frühestens Mitte Mai mit einer Wiedereröffnung, einige prognostizieren, es könnte auch noch bis Mitte Juni dauern. Kinostarts wurden jedenfalls bis dahin verschoben. Für die Kinos ist die derzeitige Situation ein Desaster, vor allem für die Arthouse-Filmtheater. Es geht um deren Existenz. Schätzungen des Hauptverbands deutscher Filmtheater HDF gehen bei einer Verschärfung der Lage von Schäden für die Kinos von bis zu 17 Millionen Euro pro Woche aus. Davon entfallen etwa 2,8 Millionen Euro auf die Arthouse Kinos.

Die vertritt Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino und Geschäftsführer der Berliner Yorck-Kinos. Ihm geht es nicht mehr nur um Einzelinteressen. Er betont die Funktion von Kino als sozialen Ort, „kein Luxusgut, sondern Hefe im Teig der Gesellschaft“. Das Geld, das jetzt verloren gehe, könne man nicht nachholen wie im Gewerbe, Kinoplätze seien später nicht doppelt zu verkaufen. Er hofft, dass den Politikerversprechen auch Taten folgen. Branchensolidarität sei das Gebot der Stunde, von Produzenten über Verleiher bis hin zu den Kinobetreibern. Für Christian Pfeil, der Arthouse-Kinos in München, Gera und Jena betreibt, fehlt es dagegen „an einem echten solidarischen Modell in der Branche“. Für ihn war der Shutdown-Termin ein sehr symbolisches und trauriges Datum. „Dass ich gerade jetzt meine Kinos schließen muss, hat mich ziemlich erwischt.“ Denn auf den Tag genau vor 15 Jahren eröffnete er in München sein erstes eigenes Kino. Er versucht, sich zu organisieren, macht sich wie viele seiner Kollegen Sorgen. Im März konnte er noch die Löhne zahlen, im April griff das Kurzarbeitergeld. Gerade der Mittelstand brauche direkte Hilfe. Schließlich laufen Pacht und andere Kosten weiter, Verträge müssen erfüllt werden. Bis die Starthilfen in Gang kommen, bestehe die Gefahr, dass kleine Betriebe und Einzelkinos schon aufgeben müssten, „wenn da nicht sofort und zwar mit der großen Kanne was passiert.“

Durststrecke für die Kleinen

Die Situation der Kinos schlägt natürlich auch auf die Verleiher durch, weniger auf die Majors, die Großverleiher, als vor allem auf die kleineren Firmen, die eine Durststrecke überstehen müssen. Sie müssen auf die Kinoauswertung auf eine nicht absehbare Zeit verzichten, die Kosten für vergebliche Marketingkampagnen und Programmplanung abschreiben und dabei Fixkosten für Miete und Personal weiter zahlen. Der Verkauf von Kinotickets macht zwei Drittel der Einnahmen an einem Film aus. Jetzt kommt noch der schleppende Verkauf von Videos und DVDs dazu, weil Lieferdienste wie beispielsweise Amazon mit Vorrang Bestellungen aus dem Sanitär- und Gesundheitsbereich bearbeiten.

Unter die Räder gekommen: “Berlin Alexanderplatz”

Nach der unfreiwilligen Pause entsteht dann ein Filmstau. Geht man von 10 bis 15 Filmstarts pro Woche aus, könnte der sich auf 150 bis 180 Filme belaufen, die es nicht alle ins Kino schaffen können. Im Juni sollten Dokumentarfilme wie Torsten Körners „Die Unbeugsamen“ über Politikerinnen in der Bonner Republik, Liam Firmagers „Suzi Q“ oder „Body of Truth“von Evelyn Schels starten. Kollisionen bleiben nicht aus, wenn im Spätsommer und Frühherbst verschobene Spielfilmen wie Benedict Andrews „Jean Seberg – Against all Enemies“, Todd Haynes Politthriller „Vergiftete Wahrheit“ ,Fabienne Berthauds „Eine größere Welt“ oder Roy Anderssons „Über die Unendlichkeit“ ins Kino drücken, die dann noch mit regulären Starts wie Anne Fontaines „Bis an die Grenze“ oder Johannes Nabers „Curveball“ konkurrieren, von drohenden US-Blockbustern ganz zu schweigen. Unter die Räder sind schon die Filme „Undine“ und „Berlin Alexanderplatz“ geraten, die durch einen späteren Start kaum noch vom Berlinale-Bonus profitieren. Dass der gute Lauf an der Kinokasse von Haifaa Al Mansours „Die perfekte Kandidatin“ oder Dani Levys „Die Känguru-Chroniken“ abrupt gebremst wurde, ist nicht nur für Verleih und Kinos, sondern auch für den Zuschauer schmerzhaft.

Streaming statt Kino

Gefahr droht noch aus einer anderen Ecke. Als erstes Hollywood-Studio nutzte Universal Pictures die Corona-Krise, um gerade erst im Kino angelaufene Filme wie „The Hunt“, „Emma“ oder „The Invisible Man“ in USA als Streaming-Angebot verfügbar zu machen. Ohne Kinoauswertung feierte der Dreamworks-Animationsfilm „Trolls World Tour“ ab 10. April direkt VoD-Premiere: ein absoluter Tabubruch. Paramounts „Sonic the Hedgehog“ ging am 31. März digital und Disneys „Onward“, erst Anfang März im US-Kino gestartet und auf der Berlinale gefeiert, konnte man auf dem neuen Channel Disney+ ab 3. April erwerben. Sony wertete den gerade gestarteten „Bloodshot“ ebenfalls digital aus, betont ansonsten, die Kinoauswertung zu respektieren. Bisher galt in USA eine Frist von 90 Tagen ab Kinostart für die nachfolgenden Verwertungswege. Die ist jetzt Makulatur.

Die Angst, dass ähnlich brachiale Methoden auch in Deutschland, wo das Kinofenster drei Monate offen ist, durch die Hintertür kommen, plagt SPIO-Präsident Negele noch nicht, auch „wenn die Amis jetzt vorpreschen. Uns geht es darum, Exklusivität zu behalten. Und wir werden uns für die Zukunft rüsten.“ Ein Film ohne Auswertung im Kino würde auf VoD nicht die erhofften Zahlen bringen. Als Unternehmer liebt er Herausforderungen und verbreitet Optimismus, dass nach der Pause, „das Kino wieder in die Köpfe kommt.“ Kinobetreiber Bräuer zeigt sich dagegen skeptisch. Er befürchtet zwar langfristig keinen Zuschauerschwund, aber es könnten sich die Geschäftsmodelle ändern und Unternehmen, denen das Kinofenster schon lange ein Dorn im Auge sei, die Krise für ihren Profit ausnutzen. „Einigen ist es egal, ob sie ihre Umsätze im Kino, online oder im Streaming machen. Da müssen wir aufpassen.“ Und wie: „Emma“ und „The Invisible Man“ gibt es seit dem 26. März auch bei uns für eine Leihgebühr um die 18 Euro, am 14. Mai, dem deutschen Starttermin, erscheint der Skandalfilm „The Hunt“ gleich auf VoD. Bei der amerikanischen National Association of Theatre Owners, denkt man laut darüber nach, nach der Corona-Krise für eine kurze Zeit die Zuschauer kostenlos in den Sälen Filme gucken zu lassen, um sie von den Streamingdiensten wegzulocken. Rosig sieht es bei Wiedereröffnung bestimmt nicht aus, schon weil erst einmal pro verkauftem Sitz sicherlich ein Sitz Abstand zum Nachbarn frei bleiben muss. Das würde die Belegung auf ein Viertel der Plätze reduzieren. Keine gute Nachricht erreichte uns aus China: Ende März durften 600 Kinos wieder eröffnen, aber einige Tage später nahm die Regierung die Erlaubnis aus Angst vor einer neuen Ansteckungswelle zurück.

Solidarität manifestiert sich ganz unterschiedlich. So bietet der Nürnberger Verleih Grandfilm eigene Titel aus seinem Programm auf einem VoD-Channel auf VIMEO an. Von den Einnahmen gehen 50 Prozent an durch den Lockdown betroffene Partnerkinos. Der Münchner Verleih Eksystent, dessen meditativer Tanzfilm „Isadoras Kinder“ von Daniel Manivel am 23. April im Kino starten sollte, brachte ihn auf der Plattform www.kino-on-demand.com heraus. Die Kunden können sich aus einer Liste „ihr“ Kino herauspicken, das dann an den Einnahmen beteiligt ist. In Berlin starteten 33 Programmkinos die Spendenaktion „Fortsetzung:folgt“, bundesweit berichten Kinobetreiber, dass Zuschauer schon jetzt Gutscheine für zukünftige Vorstellungen kaufen. Das ist mehr als eine Geste, sindern ein Zeichen von Miteinander und Partnerschaft in schwierigen Zeiten. Die Homepage der renommierten Breitwand-Kinos von Matthias Helwig in Starnberg, Gauting und Seefeld macht Mut mit dem Versprechen „Wir kommen zurück mit großem Kino“. Die Hoffnung stirbt zuletzt. [12456]

Den kompletten Artikel können Sie in unserer kommenden Ausgabe 5.2020 lesen!

 

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Auch eine sehr schöne und erwähnenswerte Aktion, um gezielt Lieblingskinos zu unterstützen: https://hilfdeinemkino.de/#kino

    Die Häuser werden an den Werbeinnahmen direkt beteiligt.

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