Medien beeinflussen unsere Wahrnehmung der Welt. Das gilt auch für Geschlechterbilder. Der Wissenschaftler Christoph May forscht zu Männerbildern und toxischer Männlichkeit. Die ist Folge von männlichen Monokulturen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Mays Ansinnen ist die Wissensvermittlung. Wir sprachen mit ihm in unserem Heft 6.2025 darüber, wie seine Workshops ablaufen, warum gemischte Workshopgruppen viel produktiver sind und welche Abwehrargumente er nicht mehr hören kann.
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Lt. Ellen Louise Ripley ist eine viel zitierte Filmheldin. Die von Sigourney Weaver verkörperte Figur gilt als erste weiblich gelesene Actionheldin und als Ikone im Aufbrechen klassischer Geschlechterrollen im Genrefilm. Dabei stammt Ripley aus der Feder zweier Männer, nämlich Dan O’Bannon und Ronald Shusett. Und sie war ursprünglich als Mann geplant. Ist sie deshalb weniger bahnbrechend? „Nein“, sagt Männlichkeitsforscher Christoph May. „Wir als Publikum sollten uns aber bewusst machen, dass viele FLINTA*-Rollen von Männern geschrieben, produziert, inszeniert und vermarktet werden.“
Der Hinweis auf männliche Autorenschaft soll dabei kein Absprechen feministischer Errungenschaften sein – und so versteht auch Christoph May seine Position nicht. Er sieht seine Aufgabe vielmehr darin, Bewusstsein zu schaffen und medienkulturelles Wissen zu vermitteln. Denn auch scheinbar progressive Rollenbilder können bei näherem Hinsehen alte Geschlechterklischees reproduzieren. Ripley etwa gilt zwar als Meilenstein weiblicher Repräsentation im Actionfilm – doch wirklich emanzipatorisch ist die Figur nicht. Sie war lediglich die erste Frau in einer bislang männlich dominierten Genreposition.
May spricht sich für einen bewussten Umgang damit aus, wenn Stoffe von einer Gruppe geschrieben werden, die mit den Lebenswirklichkeiten der Subjekte wenig zu tun hat. Und er führt weiter aus, dass es Gründe gibt, warum vor allem Männer an die Positionen gelangen, in denen sie Renommee und Macht haben, Hollywood-Drehbücher und Serienstoffe zu schreiben.
May wuchs in der DDR auf, studierte in den 1990er Jahren Geschichte und Literaturwissenschaft und war in der Graffitiszene Berlins aktiv. Irgendwann fiel ihm auf, dass alle Felder, mit denen er sich bis dato beschäftigt hatte, überwiegend männlich geprägt sind. Das gilt für die Geschichtsschreibung und -forschung, für die Literaturwelt und auch für die hypermaskuline Graffitiszene. Er begann, sich kritisch mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Zusammen mit seiner Partnerin, der Schriftstellerin Stephanie May, gründete er 2016 das Institut für kritische Männerforschung – Detox Masculinity. Stephanie May studierte an der Freien Universität Berlin europäische, indische und ostasiatische Kunstgeschichte sowie Geschichte und Prähistorische Archäologie. Im Institut ist sie für Strategie, Planung und Beratung verantwortlich und stellt die inhaltliche und ästhetische Klarheit der Vorträge, Seminare und der Website sicher.
Strukturelles Problem: Nicht nur in der Kommunalpolitik überwiegt der Männeranteil. (Foto: privat)
Gleichstellung in der Ferne
Für Christoph May geht es bei der Arbeit des Instituts erst einmal nicht um Aktionismus. Der sei zwar auch wichtig. Doch seine Erfahrung sei, dass die Männer als Gruppe hier bei null anfangen. Für ihn gilt es, zunächst Bewusstsein und Aufmerksamkeit zu schaffen. Das dafür nötige Wissen vermittelt er in Seminaren und Workshops des Instituts. Er wird gebucht von Institutionen, Unternehmen, Verbänden, Konferenzen und war auch schon innerhalb einer Diversitywoche in einer Polizeidienststelle tätig. Stephanie May überlässt ihrem Mitstreiter dabei die Seminararbeit und damit die direkte Konfrontation mit den Männern. „Auf den Kampf könne sie verzichten, wie sie sagt“, so Christoph May.
Aufklärung ist wichtig. Eine Gleichstellung der Geschlechter ist gesellschaftlich in weiter Ferne. Das gilt für Wirtschaft, Kultur, Politik gleichermaßen. Für die Filmbranche sind die Zahlen immer noch eindeutig schlimm. Laut einer aktuellen Studie des European Audiovisual Observatory von 2021 sind Frauen hier immer noch unterrepräsentiert. Die Studie „Female audiovisual professionals in European TV fiction production“ zeigt einmal mehr, dass im Bereich Bildgestaltung ein klares Missverhältnis herrscht. So sind nur etwa 20 Prozent der Regiepositionen mit Frauen besetzt, bei den Drehbuchautorinnen liegt der Anteil immerhin bei 35 Prozent. Kamerafrauen sind hingegen mit lediglich 8 Prozent stark unterrepräsentiert. Damit bestätigt die Erhebung die bislang aktuellsten deutschen Zahlen aus dem Jahr 2017.
Die Gender Pay Gap hat sich ein wenig verkleinert, lag in 2024 in der Gesamtwirtschaft aber immer noch bei 16 Prozent Unterschied zwischen der Bezahlung bei Männern und Frauen. Laut Daten des sozio-ökonomischen Panel SOEP, liegt die unbezahlte Arbeit von Frauen in Deutschland jährlich bei einem Gegenwert von 826 Milliarden Euro. „Das ist das Fundament, auf dem Männer ihre Karrieren aufbauen und dann ernsthaft glauben, sie hätten das alles aus eigener Kraft geschafft“, so Christoph May. Für Frauen hat die daraus oft resultierende finanzielle Abhängigkeit fatale Konsequenzen. Nach einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB können 53 Prozent aller berufstätigen Frauen langfristig nicht von ihrem Einkommen leben. Wenn diese für ein Kind sorgen müssen, sind es sogar 70 Prozent.
In Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zeigt sich ein ähnliches Bild wie in der Kultur: Es handelt sich um ein strukturelles Problem. Doch um diese Strukturen zu verändern, muss man sie zunächst erkennen und verstehen. Eine dieser Strukturen nennt der Männlichkeitsforscher May „männliche Monokulturen“ – informelle Netzwerke, die unter Männern entstehen und wirken. Solche männerdominierten Bündnisse bilden den Nährboden für Machtkonzentration und männliche Dominanz in vielen gesellschaftlichen Bereichen. [15562]