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Wir stellen die Preisträger des 30. Deutschen Kamerapreises vor (6)

Magischer Raum

Beim 30. Deutschen Kamerapreis erhielt Anja Pohl die Auszeichnung für den besten Schnitt bei einem Dokumentarfilm. Sie hat für unser Heft 12.2020 im Interview geschildert, wie sie das enorm umfangreiche Ausgangsmaterial bei „Walchensee Forever“ bewältigte und wie die Zusammenarbeit mit Regisseurin Janna Ji Wonders lief.

 

Anja Pohl, 1967 in München geboren, begann bereits als Studentin mit dem Filmschnitt. Seit 1996 arbeitet sie als freiberufliche Editorin. Darüber hinaus war sie Lehrbeauftragte für Schnitt an der HFF München und IFS Köln. Ihr erster Kinofilm „Bang Boom Bang“ (1999) gehört zu den zahlreichen preisgekrönten Filmen, an denen sie mitgewirkt hat, ebenso wie „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ (2004), der den Bayerischen Filmpreis und eine Oscarnominierung erhielt. Anja Pohl wurde bereits 2011 für „El Bulli – Cooking in Progress“ mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet. Der letzte Spielfilm, bei dem sie mitwirkte, war 2018 „Wackersdorf“, der ebenfalls den Bayerischen Filmpreis erhielt.

Was hat die Auszeichnung in der Kategorie Schnitt Dokumentarfilm beim 30. Deutschen Kamerapreis für dich bedeutet?
Das ist eine große Ehre, denn der Deutsche Kamerapreis ist ja nicht irgendeine Auszeichnung. Für mich ist es einer der stärksten Preise, die vergeben werden. Ich habe mich wirklich wahnsinnig gefreut. Ganz allgemein habe ich zu Preisen aber auch immer ein ambivalentes Gefühl, weil diese Arbeit, also die Montage, oft nicht sichtbar ist. Gerade der Schnitt ist, das behaupte ich jetzt mal, eine eher unsichtbare Kunst, anders als zum Beispiel Kamera oder Schauspiel, die sich klarer darstellen.

Es ist ja eine verbreitete Meinung, dass der beste Schnitt sich selbst unsichtbar macht.
Ich finde die Montage an sich gar nicht unsichtbar. Für mich ist sie sehr sichtbar, aber naturgemäß schaue ich mir Filme auch anders an als Menschen, die damit nicht professionell zu tun haben. Im Schnitt geht es darum, all die Stärken dessen, was ich auf den Tisch bekomme, zu konzentrieren und das Wesentliche sichtbar zu machen, den Kern der Geschichte zu erfassen, aber gleichzeitig die Montage in dem Sinne verschwinden zu lassen, dass der Film eine eigene Persönlichkeit oder Gestalt wird, hinter die ich, hier als Editorin zurücktrete.

Oft ist es ja so, dass man dann eine Schnittleistung auszeichnet oder sie würdigt, wenn der Schnitt in einer Weise furios ist, wenn mit Montage und Musik und großer Emotionalität gearbeitet wird. Aber das ist manchmal die einfachste Übung! Wenn ich tolle Bilder habe und eine coole Musik, dann macht das zwar einen Riesenspaß, aber letztlich braucht man da nur ein gewisses Rhythmusgefühl und Musikalität, die aber eigentlich zur Grundausstattung einer Editorin oder eines Editors gehören. Aber wenn man bei einem leiseren Projekt mehr zen-buddhistisch in das Material geht, so dass die Geschichte aus sich heraus entsteht, dann ist die Schnittleistung vermutlich nicht wirklich sichtbar und irgendwie leiser.

Familienporträt aus weiblicher Perspektive: „Walchensee Forever“

Ist „Walchensee Forever“ für dich einer dieser leiseren Filme?
Ich glaube, es ist kein leiser Film, außer man tritt zurück und fragt sich: Um was geht es im Leben? Was ist sein Sinn? Es ist die Frage, die sich Anna, die Mutter von Janna am Ende des Films stellt und die auch ein wenig das Motto des Films ist. Warum leben wir? Wohin wollen wir? Das ist ein großes Thema, aber gleichzeitig ist es auch ein zutiefst intimes persönliches Thema. Deswegen ist es schwer, auf diese Frage konkret zu antworten.

Wir haben natürlich versucht, diesen Film zu beruhigen, der Geschichte eine Linie zu geben. Dadurch habe ich ihn in der Arbeit als sehr leise empfunden, so zurückgezogen in meinen Arbeitsraum und unserem gemeinsamen Gedankenraum. Unsere Schnittzeit war sehr konzentriert und die Arbeit daran so ausschließlich und auch ein wenig einsam. Daher fände ich es irgendwie passend, wenn der Film als leiser Film wahrgenommen werden würde.

Wenn du sagst, es war eine einsame Arbeit – wie ist die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Janna Ji Wonders konkret abgelaufen?
Der Film beziehungsweise die Arbeit mit Janna Ji Wonders war auch ein Resonanzraum für mein eigenes Befinden, aber „Walchensee Forever“ ist Jannas Geschichte und diese Geschichte, also ihr Leben, ging natürlich weiter! Schon vor dem eigentlichen Schnitt hatten wir uns ein paar Mal getroffen und einfach über das Material gesprochen. Janna hat ja in der Zeit auch ihre Tochter bekommen, einen Monat, bevor der offizielle Schnitt begann, kam Rumi zur Welt, und sie kam dann auch mit in den Schneideraum. Es war sehr viel Material, Janna hat es mir gezeigt und ich habe erst einmal nur Fragen gestellt. So ist das Projekt eigentlich aus sich heraus entstanden.

Editorin Anja Pohl (rechts) mit Regisseurin Janna Ji Wonders

Es ging darum, zu erfassen, worum es eigentlich geht und dadurch auch der Regisseurin einen Schritt zurück, eine Distanz zu der eigenen Geschichte zu ermöglichen. Und wir haben dann schnell gemerkt, dass noch weiteres Material nötig ist, um alle Fäden zusammenzuführen, und Janna hat dann noch einmal begonnen, mit ihrer Mutter am Walchensee Gespräche zu führen. Sie hat gewissermaßen die früheren Gespräche zwischen Mutter und Tochter, in denen Anna die 3- oder 4-jährige Janna befragte, wieder aufgegriffen. Jetzt war Janna diejenige, die Fragen stellte, und gemeinsam durchforschten sie ihre Erinnerungen.

Was also eine Komplikation im Projekt hätte sein können, nämlich dass während des Schnitts das Material noch gar nicht feststeht, ist in diesem Fall dann eine Erleichterung der Arbeit gewesen.
Am Anfang saßen wir beide fast ein bisschen gelähmt vor dem Material. Das lag auch daran, dass es so immens reich war. Es gibt ja viele Familiengeschichten, aber in der ersten Zeit dachten wir oft, man müsste eigentlich drei Teile daraus machen! Nein vier! Es ging ja nicht nur um Norma, die Großmutter, Anna und Janna, sondern vor allem um Frauke, die Schwester von Anna, deren Leben und Tod für Janna mit ein Grund war, warum dieser Film überhaupt entstand. Und Apa, die Urgroßmutter. Jede der Frauen in dieser Familie hat ein so eigenes, vielschichtiges Leben und es gibt so viel Material von allen! Und dann kam auch noch Rumi auf die Welt. Man bekam da förmlich Kopfschmerzen. Wie fangen wir nur an?

Ich hatte den Eindruck, dass bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Großvater begonnen hatte, das Material für diesen Film zu sammeln, indem er Norma fotografierte, sie zeichnete und malte, ein Märchen über ihre Liebe und ihr gemeinsames Leben schrieb und die ersten Filme auf Schmalfilm drehte. Dann Anna und Frauke, die schrieben, fotografierten und verrückte Filme drehten, dann Janna, die schließlich dieses Familien- und Lebensarchiv mit meiner Hilfe zusammenführte. [13837]


Das komplette Interview mit Editorin und Preisträgerin Anja Pohl können Sie hier lesen!


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