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Die Editorin Bobbie O’Steen über den Filmschnitt von „Chinatown“ und „Rosemaries Baby“

Der Mut, nicht zu schneiden

Die Autorin und Filmhistorikerin Bobbie O’Steen begann ihre Karriere im Schneideraum; ihr Ehemann war der dreifach oscarnominierte Editor Sam O’Steen. Im Interview erzählte die Schnittexpertin in unserer Ausgabe 11.2021 von der Arbeit ihres Mannes unter anderem an Roman Polanskis Film-noir-Krimi „Chinatown“ und seinem Horrorfilm „Rosemaries Baby“.

Sam O'Steen im Schneideraum
Foto: Bobbie O’Steen

„Editoren werden niemals die Würdigung oder auch nur das Verständnis bekommen, das sie verdienen“, erklärt Bobbie O’Steen. „Nur, wenn man tatsächlich jede Minute mit dem Editor im Raum sitzt und sieht, wie die Muster aussehen, wie viel Kontrolle sie über den Schnitt hatten, hat man eine annähernde Idee, was sie eigentlich geleistet haben.“ Die beste Arbeit des Editors muss auch nicht zwangsläufig an einem großartigen Film passieren: „Vielleicht hat er einen größeren Beitrag bei etwas geleistet, das ein Problem war und kaum veröffentlicht werden konnte.“

Porträt von Bobbie O'Steen
Bobbie O’Steen (Foto: privat)

Die New Yorkerin Bobbie O‘Steen hat ihr Leben dem Filmschnitt verschrieben. Als Tochter eines Editors arbeitete sie zunächst auch selbst im Schnitt und wurde Assistentin des legendären Cutters Sam O’Steen, der Filme wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, „Die Reifeprüfung“ und „Silkwood“ von Mike Nichols, „Der Unbeugsame“ von Stuart Rosenberg oder „Rosemaries Baby“, „Chinatown“ und „Frantic“ von Roman Polanski geschnitten hat. Die beiden wurden ein Paar und arbeiteten gemeinsam an seinen Memoiren „Cut to the Chase“, die in detaillierten Interviews erzählt sind. Nach Sams Tod im Jahr 2000 schrieb Bobbie O’Steen das Buch „The Invisible Cut“, in dem sie Szenen aus Klassikern, darunter auch einige ihres Mannes, genau analysiert, und das Buch „Making the Cut at Pixar“, über die Rolle der Editoren bei der bekannten Trickfilmschmiede. Sie leitet Workshops über den Filmschnitt, interviewt hochkarätige Editoren und moderiert Panels, in denen ihre Arbeiten genau betrachtet werden.

„Sam sagte: ,Ich merke den Schnitt nur dann, wenn er schlecht ist.‘ Und mir geht es genauso“, erzählt O’Steen. „Ich merke wirklich, wenn der Editor bei der falschen Person ist. Da gibt es eine dramatische Szene, oder die Dynamik zwischen den Figuren ist entscheidend, und ich will unbedingt die Person sehen, die vielleicht nicht diejenige ist, die gerade redet – sogar oft. Dann merkt man den Schnitt, obwohl man es nicht sollte“, führt sie aus. „Die leisen Szenen am Esstisch zum Beispiel sind die schwierigsten. Da zeigt der Editor wirklich sein Können.“

Sam O'Steen und Roman Polanski
Enge Zusammenarbeit: Sam O‘Steen (links) mit Roman Polanksi am Set von „Frantic“ (Foto: Bobbie O’Steen)

Der richtige Instinkt

Als Assistentin von Sam O’Steen konnte Bobbie seine Arbeitsmethoden genau beobachten. „Mich hat am meisten umgehauen,
dass er nie seinen Schnitt angesehen hat“, erzählt sie. „Wenn er mit dem Regisseur zusammensitzt, ist er ebenso frisch, weil er irgendwie beinahe den Schnitt von jemand anderem ansieht. Er konnte davon etwas Abstand kriegen und es dann durch die Augen des Regisseurs sehen, und das half ihm auch, seine eigene Arbeit zu betrachten.“ Besorgt war Sam dabei nie, sondern immer sehr zuversichtlich. „Und deswegen war er so schnell, weil er seine Entscheidungen nicht im Nachhinein bezweifelt hat“, erklärt Bobbie. „Wenn man an etwas ständig herumspielt, ist man bald verloren. Als Editor ist dein erster Instinkt normalerweise der richtige, wenn du ein guter Editor bist und weißt, was du tust.“

Sam O’Steen war auch in anderer Hinsicht ungewöhnlich: Er war bei vielen Filmen am Set und beriet die Regisseure. Das fing an bei „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, wo Regisseur Mike Nichols die Empfehlung von Billy Wilder bekam, für den Schnitt Doane Harrison anzuheuern, der in gleicher Funktion bei Wilder tätig war. Aber Harrison und Nichols kamen nicht zurecht, und so trat O’Steen in die Rolle. „Mike Nichols kam vom Theater. Er hatte keine Erfahrung als Filmregisseur“, meint Bobbie O’Steen. „Und Mike war smart genug, um zu wissen, dass er in der Visualisierung nicht so gut ist. Er hat über die Jahre gelernt, aber seine Stärken waren andere. Er war großartig mit Worten und mit Schauspielern.“ Sams Ratschläge am Set hinsichtlich der Auflösung erlaubte ihm, genau die Einstellungen zu bekommen, die er wollte, was auch der Produktion Zeit sparte – aber natürlich erforderte die Herangehensweise auch diplomatisches Geschick. „Er wusste sehr bald, dass er mit dem Kameramann sehr vorsichtig sein musste und niemandem auf die Zehen steigen durfte oder ihnen das Gefühl geben durfte, zu viel Input zu geben.“

Der Sprung ins fahrende Auto

Bei Roman Polanskis Filmen war O’Steen allerdings so gut wie nie am Set. „Ich glaube nicht, dass Polanski Hilfe dabei brauchte, eine Szene zu entdecken“, schmunzelt Bobbie. Sie beschreibt die Beziehung zwischen dem Regisseur und ihrem Mann als „Yin-Yang“: „Polanski hat eine sehr europäische Sensibilität, und Sam dachte immer, dass alles zu lang war“, führt sie aus. „Sie hatten dauernde Auseinandersetzungen, hin und her, weil sie sich so respektiert haben. Roman war so leidenschaftlich und liebte es, zu debattieren, und er spielte Sams Schnitte vor und zurück, vor und zurück, und manchmal änderte er sie. Und er sagte, dass Sam letzten Endes immer Recht hatte, oder fast immer“, lacht Bobbie. „Aber sie liebten es, sich gegenseitig herauszufordern.“ [14907]


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