Anzeige
Anzeige
Streaming-Riesen reagieren auf die veränderte Branche

Das Imperium rudert zurück

Disney und Netflix kürzen bei den Inhalten, Sky stellt eigenproduzierte Fiktion komplett ein. Zudem offenbarte der Streik der Writer’s Guild und der Schauspielgewerkschaft in den USA vor allem bei den Streamern Intransparenzen und Ungerechtigkeiten in deren Geschäftsmodell. Wir versuchen eine Bestandsaufnahme der gerade sehr zügig fortschreitenden Entwicklungen einschließlich der Gefahren, die sich auch für den deutschen Markt ergeben könnten, und fassen zusammen, wie die Novellierung des Filmfördergesetzes helfen könnte.

Symbolfoto für Streaming
Foto: Bastian Riccardi / Unsplash

Das Ende kam schneller als gedacht. Noch im November 2022 plakatierte Netflix flächendeckend seine heiß erwartete Serie „1899“ von den „Dark“-Machern um Baran bo Odar. Noch vor dem neuen Jahr kam das Aus. Es wird keine zweite Staffel geben. Was der Grund für diese ausgesprochen frühe Entscheidung ist, kann nur gemutmaßt werden. Tatsache ist, dass Netflix enorm viel Geld für die Serie ausgegeben hat und die Marktanteile durch deren Launch nicht signifikant verschieben konnte. Vielleicht hat die Produktion einfach nicht den durch sie erhofften Zuwachs an Abonnements gebracht. Vielleicht gibt es interne Zahlen, dass die Serie einfach von denen, die sie begonnen haben, zu selten zu Ende geguckt wurde. Sicher ist aber, dass Netflix mit den Kürzungen nicht allein ist.

Kürzungen überall

Mitte Mai 2023 berichtete das Wall Street Journal, Netflix kürze die Ausgaben um 300 Millionen US-Dollar. Nach den drei Entlassungswellen in 2022 werden also weitere Kosten gespart, auch wenn hier wenig über die Geschäftsbereiche erläutert wurde, in denen dies geschehen soll. Anders lief es bei Sky. Wie Ende Juni 2023 über das US-Magazin Variety bekannt wurde, stellt der Pay-TV-Anbieter zu 2024 die Produktion fiktionaler Eigenproduktionen komplett ein, nur acht Jahre nachdem die Comcast-Tochter damit begonnen hatte. CEO Davesh Raj begründete dies ohne Umschweife mit den gestiegenen Kosten. Auch Disney+ hatte im Mai über Chef Bob Iger verkündet, 3 Milliarden Dollar an Kosten für Content einsparen zu wollen – ohne Sportproduktionen. Dabei geht es sowohl um die Eigenproduktion von Originals aus den Franchise-Universen Star Wars und Marvel als auch um die Lizenzierung von Fremdmaterial wie Filme und Serien. Im Zuge dessen verschwanden schon zu Ende Mai dutzende Titel von der Plattform, darunter die erst 2022 eigenproduzierte Serie „Willow“. Ähnliche Strategien waren zuvor auch von HBO Max und anderen Plattformen unternommen worden. Disney-Chef Iger schloss nicht einmal aus, Disney-Inhalte wieder unter Lizenz auch an andere Plattformen zu verkaufen. Allein das spricht Bände in der von Exklusivität getriebenen Streaminglandschaft.

Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet in dieser Situation ein groß angelegter Streik zwei der wichtigsten Gewerkschaften der US-Filmindustrie losbrach. Im Mai traten die Autorengewerkschaft WGA in den Arbeitskampf, die Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA folgte im Juli. Auch wenn zumindest mit der Writer’s Guild eine Einigung erzielt wur- de und der Streik beendet wurde, streikt die SAG-AFTRA weiter. Der zukünftige Einsatz von KI in der Produktion von Inhalten ist dabei eines der wichtigsten Themen. Der WGA ging es vor allem um eine angemessene Beteiligung an den immensen Gewinnen – auch denen der immer noch höchst profitablen Streamer. Die genauen Details des Deals waren bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Die Verhandlungsführer der WGA sprachen jedoch von einem „außergewöhnlichen“ Ergebnis.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth
Kulturstaatsministerin Claudia Roth kann es vermutlich mit der Neufassung des FFG niemandem Recht machen.(Foto: J. Konrad Schmidt / BKM)

Gewinne? Ja!

Denn die prosperieren. Bleiben wir beim Beispiel der zwei großen Platzhirsche Netflix und Disney. Der Netflix-Aktienpreis startete in das Jahr 2023 mit etwa 295 US-Dollar und befand sich gegen Ende August um die 400 US-Dollar, Tendenz weiterhin steigend. Auch der Gesamtkonzern Dis- ney steigerte sich am Aktienmarkt von etwa 87 US-Dollar auf über 90. Bis zum Ende des Jahres wird für Disney hier ein Wachstum von 14 Prozent erwartet, bei Netflix sogar 75 Prozent.

Eines jedoch sollte beim Blick an die Börse nicht vergessen werden. Netflix ist keine Tech-Company wie Apple, Google oder Facebook. Ihre Innovation liegt nicht in der Entwicklung von Patenten und Ideen. Sie beruht auf der Urheberschaft der Kreativteams der Branche. Geht deren Potenzial für Netflix verloren, ist auch die Investition nicht mehr viel wert.

Das hat auch Netflix kapiert und steuert zumindest finanziell gegen. In rund 30 Ländern wurden tatsächlich die Abo-Kosten reduziert. Gleichzeitig ging Netflix mit zahlungspflichtigen Sub-Account-Angeboten gegen das beliebte Passwort-Sharing zum gemeinsamen Nutzen eines Accounts vor, was zu mehr bezahlten Abos führen soll. Das Angebot eines günstigeren, durch Werbung finanzierten Accounts gibt es schon seit Ende 2022. Auch der Mitbewerber Disney+ setzt auf diese Strategie, die mit dem VoD-Anbieter Freevee auch bei Amazon Prime Video mit von der Partie ist.

Gerade diese Entwicklung ist ein wenig bizarr. Da stieg mit Netflix in den 2000er Jahren ein Player rasend schnell auf, der fast allein in disruptiver Art den Markt umkrempelte. Abomodelle und SVod lösten immer mehr die Dominanz des linearen Fernsehens ab, vor allem bei jungen und technologie-affinen Zielgruppen. Man könnte argumentieren, mit günstigeren Abos durch werbefinanzierte Modelle sei man wieder zurück beim linearen Werbefernsehen angekommen. Denn wenn man bedenkt, dass man einen Abopreis zahlt und trotzdem noch Werbung ertragen muss, wirkt der Griff zur klassischen Fernbedienung ins lineare Fernsehen nachvollziehbar.

Studiotor in Babelsberg
Im Studio Babelsberg herrschen Produktionsflaute und Kurzarbeit. (Foto: Studio Babelsberg)

Deutscher Markt

Derweil hat der US-Streik auch Auswirkungen in Deutschland. Das Studio Babelsberg schickte Anfang September etwa 40 von rund 100 Mitarbeitern in die Kurzarbeit. Etliche angekündigte Produktionen mit US-Schauspielern haben die Dreharbeiten vor den Toren Berlins verschieben müssen. Wir erinnern uns: Die Potsdamer Studios sind seit Anfang 2022 mehrheitlich in US-amerikanischer Investorenhand. Der aktuelle Eigner TPG Real Estate Partners hat das Traditionsunternehmen mit der Zustimmung der Hauptversammlung der Studio Babelsberg AG im März unter das Dach der Cinespace-Gruppe wandern lassen. Ende August kam die Nachricht vom Beherrschungs- und Gewinnabführungsvetrag zwischen Cinespace-Tochter Kino BidCo GmbH und Studio Babelsberg AG ins Handelsregister, mit dem die operative und strategische Umstrukturierung beginnen könnte. Insofern kommen Produktionsflaute und Kurzarbeit zur Unzeit. Es wird ohnehin befürchtet, dass bei einem Umbau für die schöne Bilanz etwas auf der Strecke bleiben wird. Das gilt selbst für eine gute Marktlage. Wie das in einer angespannten Marktsituation aussehen könnte, mag man sich gar nicht ausmalen. Achim Rohnke, Geschäftsführer des Verbandes technische Betriebe Film und Fernsehen (VTFF) beklagte auch bei uns im Heft, dass die Krise mittlerweile auch die Filmtechnikbetriebe erreicht habe. Von Filmtechnikausstatter über Synchronunternehmen bis zu TV-Studios spüren seiner Aussage nach bereits viele die Auswirkungen der Produktionsflaute in Übersee und auch hier. [15386]

Anzeige

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.